Heinrich XIII. im Streit mit Museen

Thüringen muss für Ansprüche des Fürstenhauses Reuss zahlen/Kunstgegenstände wandern in Auktionshäuser

  • Peter Liebers
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.
Im Museum Schloss Burgk bei Schleiz herrscht Trauer. In den Sammlungen klaffe eine schmerzliche Lücke, seit das Fürstenhaus Reuss kürzlich eine wertvolle Standuhr aus dem Jahr 1793 abholen ließ, bekennt Museumsleiterin Ina Scheffler. Die Uhr hatte einst im Schloss Ebersdorf bei Lobenstein gestanden und war 1945 von den Reussen einer Angestellten anvertraut worden, um sie vor Diebstahl zu bewahren. Jahre später hatte die Frau das wertvolle Stück dem Museum übergeben. Seither wurde die Uhr mit ihrem einmaligen Spielwerk, das aus einer Orgel mit Flötenstimme und einem Klavier besteht, sorgsam gehegt und gepflegt. Von sieben Walzen gesteuert, kann das Meisterwerk der Uhrmacherkunst vergangener Zeiten in vielen Varianten anzeigen, was die Stunde geschlagen hat. Der Landkreis habe sich intensiv bemüht, dieses wertvolle Kulturgut für das Museum und die Öffentlichkeit zu erhalten, sagte die stellvertretende Landrätin des Saale-Orla-Kreises, Heike Taubert, dem ND. Die Bemühungen waren letztlich vergebens, obwohl die Uhr dem 20-jährigen Nießbrauchsrecht, Übergang geschenkter Gegenstände in Eigentum, unterlag. Mit der Uhr seien viele Erinnerungen verbunden, hatten die Vertreter des Adelshauses erklärt und entgegen der Rechtslage auf Herausgabe bestanden. Die Erinnerungen und der kulturhistorische Wert sind ihnen offenbar gleichgültig. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Uhr inzwischen unter der Losnummer 100 auf der Angebotsliste des Londoner Auktionshaus Christies steht. Ihr Schätzwert wird mit über einer halben Million Euro angegeben. Der kulturhistorische Wert lässt sich dagegen gar nicht beziffern. Wo sie einmal landet, ob in der Villa eines Millionärs oder ihres Wertes wegen in einem Banktresor, steht in den Sternen. Die Öffentlichkeit dürfte sie kaum wieder zu Gesicht bekommen. Mit dem Angebot hat sich der Chef des Hauses Reuss, Heinrich XIII., möglicherweise einen Bärendienst erwiesen. Juristen könnten ihn als Bruch der gütlichen Einigung werten, die zwischen ihm und der Stadt Gera abgeschlossen worden war. Der Vereinbarung zufolge sollte die Uhr das Prunkstück für eine dem Hause Reuss gewidmete Ausstellung im Geraer Stadtmuseum werden, sagte der vormalige Geraer Kulturamtsleiter Albert Zetzsche dem ND. Er hatte die Verhandlungen mit den Reussen geführt und vor sechs Jahren mit ihnen die gütliche Einigung über den Umgang mit den von Rückgabeansprüchen belasteten Kunstgegenständen vereinbart. Damals hätten Vertreter des Adelshauses in salbungsvollen Worten erklärt, wie prunkvoll diese Exposition werden solle, mit Gegenständen aus verschiedenen Schlössern. Aus dem Geraer Museum verlautete dagegen jüngst, die vorhandenen Exponate reichten gar nicht aus, um die Geschichte des Hauses Reuss darzustellen. Außerdem passe die Ausstellung nicht in das stadtgeschichtliche Konzept des Museums, das im Zusammenhang mit dessen grundlegender Sanierung derzeit erarbeitet wird. Die Geschichte der Reussen, die einst in Ostthüringen residiert hatten, sei schließlich Landesgeschichte. Dieser Standpunkt wird auch von anerkannten Wissenschaftlern der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem Thüringer Kunstministerium geteilt. Andere, von der Stadt angebotene Ausstellungsräume wollen aber die Reussen nicht akzeptieren. Das hat jetzt zu einem neuerlichen Streit geführt. Er werde in Gera ständig mit Schmutz beworfen, schimpfte Heinrich XIII. in einem Offenen Brief. Ihm sei kein anderer Fall bekannt, dass ein Leihgeber so stigmatisiert werde, deshalb verlange er die Rückgabe eines Dix-Bildes, das aus der Privatsammlung seiner Mutter stamme sowie des Diana-Trinkspiels und der Postumuskette. Dass die beiden letztgenannten Gegenstände überhaupt noch verfügbar sind, ist der DDR-Kriminalpolizei zu danken, von der die in den Nachkriegswirren gestohlenen Güter in den 80er Jahren wieder aufgespürt und dem Museum übergeben worden waren. Das Haus Reuss hat auch die gütliche Einigung einseitig gekündigt. Zetzsche kann sich das alles nicht erklären und meint, um die Sache gehe es dabei wohl nicht. Die Stadt habe jedenfalls nicht gegen die Vereinbarung verstoßen. Die in Gera kursierende Vermutung, Heinrich XIII. wolle womöglich auch die der Einigung zufolge in den Besitz der Stadt übergegangenen Kunstgegenstände haben, mag er nicht kommentieren. Dafür prüft er derzeit juristische Schritte gegen Heinrich XIII., weil der öffentlich verbreitet hatte, seine Mutter habe nach der gütlichen Einigung alle an den Verhandlungen Beteiligten zu einem Essen auf Schloss Osterstein, dem 1945 durch Bombenabgriffe weitgehend zerstörten einstigen Sitz des Fürstenhauses, eingeladen. Bei dieser Gelegenheit habe jeder Gast, vom Oberbürgermeister bis zu den Packern, ein persönliches Geschenk erhalten, behauptete Heinrich XIII.. Zetzsche ist über diese Behauptung entsetzt. Das sehe ja aus, als hätten sich die Vertreter der Stadt korrumpieren lassen, schimpft er. Zunächst habe er Heinrich XIII aufgefordert, diese Behauptung öffentlich zurückzunehmen. Geschehe das nicht, sei er geradezu gezwungen, vor Gericht zu ziehen, schließlich sei er noch immer im öffentlichen Dienst tätig, sagte Zetzsche, der heute im hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur arbeitet. Das »Geschenk« wäre schließlich nur eine Urkunde gewesen, verbunden mit der Versicherung, das Haus Reuss werde für 1000 Mark Stühle im Geraer Theater erwerben und sie mit einer Widmung für die Leistungen bei der gütlichen Einigung versehen lassen. Dieses Versprechen ist nach Angaben von Zetzsche bis heute nicht eingelöst. Stattdessen möchten die Reussen offensichtlich bei derzeit laufenden Verhandlungen über die Rückgabe von Immobilien gleich das ganze Theater haben. Worauf das alles hinausläuft, lässt sich aus dem Offenen Brief leicht schlussfolgern. »Andere thüringische Fürstenhäuser haben Beträge in zweistelliger Millionenhöhe dafür erhalten, dass die Kunstschätze bei den jeweiligen Verfügungsberechtigten blieben«, heißt es da. Die Vermutung, dass ihnen Bargeld wichtiger zu sein scheint als die Erbstücke ihrer kunstsinnigen Ahnen, wird dadurch genährt, dass sie die 700 Kunstgegenstände, die sie seinerzeit zurückerhielten, postwendend für drei Millionen Euro versteigern ließen. Die Reussen sind allerdings nicht die einzigen Nachfahren vormaliger Herrscher der Thüringer Zwergstaaten, die nach Kunstschätzen und Kulturgütern zu greifen versuchen. Dabei werden allerdings deutliche Unterschiede zwischen den Adelshäusern sichtbar. Die erste gütliche Einigung, die zwischen der Landesregierung und einem Adelshaus abgeschlossen wurde, betraf 2001 die Ansprüche des Hauses Sachsen-Meiningen. Danach wurden die Restbestände der nach 1945 aufgelösten Öffentlichen und Privaten Herzoglichen Bibliothek mit neun Autographen zurückgegeben. Alle Archivbestände und in sie übernommene Teile der Bibliothek aber bleiben dauerhaft für die öffentliche und wissenschaftliche Nutzung erhalten. Darunter auch die wertvollen Theaterakten Herzogs Georg II, der sich um die Entwicklung des Theaters verdient gemacht hat. Als freundliche Geste an alle, die sich in den vergangenen 50 Jahren für die Bewahrung der Bestände verdient gemacht hatten, schenkten die Sachsen-Meininger dem Freistaat einen bedeutenden Brief Philipp Melanchthons aus ihrem Autographenbestand. Das Haus Sachsen Coburg und Gotha ließ sich den dauerhaften Verzicht auf den Bestand des Museums von Schloss Friedenstein in Gotha mit seiner Kunstkammer und einer Gemäldesammlung im Schätzwert von reichlich 200 Millionen Euro sowie den Verzicht auf Immobilien im Wert von rund 60 Millionen Euro mit der Übereignung von landeseigenen Forsten im Wert von rund sieben Millionen Euro entgelten. Um sich wichtige Kultur- und Kunstgüter rechtsstaatlich und dauerhaft zu sichern, die dem Hause Sachsen, Weimar und Eisenach zugesprochen und auf die Rückgabeansprüche erhoben worden waren, muss das Land 15 Millionen Euro zahlen. Angesichts der leeren Landeskasse sollen davon elf Millionen Euro durch den Verkauf von Staatswald und der Rest durch Kunstverkäufe aufgebracht werden. Merkwürdigerweise war in der Öffentlichkeit heftige Kritik an den Waldverkäufen laut geworden, während der Verlust von Kunstwerken offenbar niemanden störte. Die Weimarer Adelsansprüche, die unter anderem das Goethe-Schiller-Archiv, die Anna-Amalia-Bibliothek und sogar die Särge von Goethe und Schiller in der Fürstengruft betrafen, waren vom seinerzeitigen Kulturstaatsminister Naumann als »unappetitlich« verurteilt worden. Aus seiner Sicht darf der Eigentumsbegriff nicht über das Selbstverständ...

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