Vor zehn Jahren, am 29. Dezember 1993, trat die Konvention der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt in Kraft. Das Übereinkommen geht über den reinen Schutzgedanken hinaus und bezieht auch die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt durch den Menschen mit ein. Ein Beispiel dafür ist das Projekt ODESAR in San Dionisio, Nikaragua.
Grundwasserschutz, Erosionsbekämpfung, Diversifizierung und Naturmedizin sind Worte, die der Nikaraguanerin Aura María Gomez heute leicht über die Lippen kommen. Das war nicht immer so gewesen. Noch vor fünf Jahren hätte sie nicht geglaubt, dass sie jemals etwas anderes tun würde, als für sich und ihre Tochter täglich auf das Feld zu gehen, um auf dem kargen Boden Mais und Bohnen anzubauen. Inzwischen hat die 42-Jährige zwei Berufe - sie ist Ökolandwirtin und Gesundheitspromotorin für die Organisation für Ländliche Entwicklung (ODESAR).
Vor drei Jahren begann ODESAR Frauen zu suchen, die sich für ihre Dorfgemeinschaften zu Promotorinnen für natürliche Medizin ausbilden ließen. »Auch wenn wir die Gesundheitsposten und -zentren aufsuchten: Nie gab es Medikamente. Zwar gaben sie uns eine Verschreibung, aber wenn wir kein Geld hatten, konnten wir uns auch keine Medizin in der Stadt kaufen«, beschreibt Aura María die Situation, bevor es das System der Gesundheitspromotorinnen gab. Zwar war der Besuch der staatlichen Zentren gratis, jedoch mangelt es an Medikamenten.
Jede der in Seminaren ausgebildeten Frauen erhielt Saatgut für ihren eigenen Heilpflanzengarten. In diesen finden sich auch bei uns bekannte Kräuter wie Kamille oder Zitronengras, vor allem aber viele nur regional bekannte Heilpflanzen, die in Absprache mit den Gesundheitsposten für eine medizinische Basisversorgung ausgewählt wurden.
Aura María bildet inzwischen selbst Gesundheitspromotorinnen aus und betreut diese in benachbarten Dörfern. »Auf diese Weise bildeten wir immer mehr Frauen aus, die dann ihre eigenen Gärten anlegten. Inzwischen gehen wir nur noch in schweren Fällen in die Gesundheitszentren, weil wir sie sonst gar nicht mehr brauchen.« Für Aura María ist das ein Erfolg von ODESAR.
Begonnen hat ihre Arbeit mit der Organisation jedoch nicht erst mit der Ausbildung zur Gesundheitspromotorin, sondern vor fünf Jahren, als ODESAR in den Dörfern der Region San Dionisio begann, Wiederaufforstung zu betreiben. Menschen der Region erhielten Saatgut für schnell wachsende, einheimische Bäume. Um den Leuten den Effekt der Wiederaufforstungen zu zeigen und sie damit zu motivieren, hatte ODESAR in einem Pilotprojekt im Einzugsgebiet einer zuvor durch Abholzung versiegten Wasserquelle wiederaufgeforstet - mit Hilfe der Anwohner. Nach einiger Zeit führte die Quelle wieder Wasser. Dies war der beste Beweis für Aura María, dass sich dieses Engagement lohnt.
Der nächste Schritt war dann, sich an den Diversifizierungsmaßnahmen von ODESAR zu beteiligen. Hiermit verfolgt das Projekt einen zweiten Strang der Erhaltung und Nutzung der biologischen Artenvielfalt: Man will nicht nur Primarwälder und urwüchsige Naturbereiche schützen, sondern auch durch den Öko-Anbau von Nutzpflanzen die Ernährung vor Ort entscheidend verbessern. Durch diesen Ansatz und eine intensive Betreuung der beteiligten Kleinbauern ist es den Mitarbeitern von ODESAR gelungen, dass viele sich inzwischen saisonunabhängig ausreichend versorgen können. Auf diese Weise wird zum einen die Nahrungspalette um Früchte wie Orangen und Pitaya (eine Kaktusfrucht) oder unterschiedliche Gemüsesorten erweitert, zum anderen werden unter anderem mit biologisch angebautem Kaffee Erlöse erwirtschaftet, die das Einkommen spürbar aufbessern. Somit leistet ODESAR auch einen Beitrag zur Armutsbekämpfung in Nikaragua. Für die Finanzierung ist das Projekt auf die Unterstützung von außen angewiesen. So kooperiert die nikaraguanische Organisation in Deutschland mit dem INKOTA-netzwerk (Siehe auch Solidaritätsaktion »3 Kontinente«).
Ein Nebeneffekt der Diversifizierung ist auch, dass man auf kleinerer Fläche effektiver anbauen kann, ohne dass die Böden ausgelaugt werden. So werden die Bauern nicht gezwungen, neue Flächen zu erschließen - einer der Hauptfaktoren für die illegale Brandrodung. Das ist ein nicht unwesentlicher Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt in Nikaragua, wenn man bedenkt, dass sich in den letzten zwölf Jahren die Waldfläche durch Brandrodung und Holzeinschlag um die Größe des Nachbarlandes El Salvador verringert hat. Für ODESAR ist der Gedanke des »Global denken - lokal handeln« noch kein abgenutztes Motto der grünen Bewegung.
Im Land tauchen durch Importe auch mehr und mehr genetisch veränderte Pflanzen - Saatgut und Nahrungsmittel - auf. Um hier nicht nur gemeinsam mit anderen Bauernbewegungen eine politische Position gegen die Gentech-Gefahren zu beziehen, begann ODESAR, eine Saatgutbank anzulegen. Hierin werden Samen und Saatgut aller in den Gemeinden von San Dionisio bekannten einheimischen Pflanzen gesammelt. So entsteht nicht nur ein Archiv der genetischen Vielfalt der Region, sondern es sichert vor allem auch die Versorgung der lokalen Kleinbauern mit Saatgut.
Auch wenn für Aura María der Gedanke ziemlich absurd erscheint, dass sie irgendwann nur noch gentechnisch manipuliertes Saatgut von einem lizenzierten Händler zu horrenden Preisen bekommen würde, ist sie sich dieser Gefahr durchaus bewusst. So sammelt sie selbst mit anderen Ehrenamtlichen von ODESAR Samen der für sie wichtigen Pflanzen der Region und macht in ihrer Naturheilkundesprechstunde auch ihre Patienten darauf aufmerksam.
Zwei der drei Projekte der ND-Spendenaktion mit Solidaritätsdienst-international, INKOTA-netzwerk und Weltfriedensdienst haben eine deutliche ökologische Dimension. Neben dem hier geschilderten INKOTA-Projekt in Nikaragua setzt das Hausbauvorhaben von SODI im Slum von Otjiwarongo (Namibia) auf die umweltfreundliche einheimische Lehmbautechnologie.
Spenden bitte auf das gemeinsame Konto der Aktion:
SODI e.V., Konto 99 000 9220 bei der Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00, Kennwort »Drei Kontinente«.
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