Wasser warm aus der Wand

Am Montag vor 25 Jahren wurde Marzahn gegründet

  • Andreas Fritsche und Klaus Tessmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Anfang Januar 1979 kämpfte die DDR mit einem harten Winter. In Marzahn befreiten Arbeiter die Baugruben von Schnee. Der Journalist Reiner Franz begleitete die Malerbrigade »Waleri Bykowski«. Am 5. Januar druckte »Neues Deutschland« seinen Report. An diesem 5. Januar, einem Freitag, beschloss die Stadtverordnetenversammlung im Roten Rathaus, mit Marzahn den neunten Bezirk der DDR-Hauptstadt zu bilden. Davon kein Wort. Auch nicht am Sonnabend. Der Gründungstermin fand allgemein wenig Beachtung. Die Baustelle Marzahn interessierte dagegen sehr. Immerhin entstand hier im Zuge eines beispielhaften Wohnungsbauprogramms das größte Neubaugebiet der DDR. Der Bau hatte an der südlichen Spitze von Marzahn begonnen, wo die Bauleute am 2. September 1977 Richtfest feierten. Bereits im Dezember fanden die ersten Mieter in dem Zehngeschosser an der Marchwitzastraße ein neues Zuhause. Bei der Gründung Marzahns lebten 65000 Menschen im Bezirk, davon schon 15000 Einwohner in Neubauwohnungen. Das Neubaugebiet wuchs schnell. Bis April 1984 waren über 38000 neue Wohnungen fertig. Jeden Tag zogen 20 Familien ein. Weil so viele junge Menschen kamen, reichten die geplanten 33 Kindergärten und -krippen nicht aus- schließlich gebaut wurden 55. Seit die Region aus den Kinderschuhen herauswächst, werden immer wieder welche dicht gemacht. Die 2. Kinderkombination in der Marchwitzastraße erwischte es bereits vor der Wende. Am 27. März 1973 hatte das SED-Politbüro festgelegt, bis 1980 in der Gegend von Biesdorf-Nord 55000 Wohnungen in komplexer Bauweise errichten zu lassen. In Ostberlin wurden 60000 Wohnungen und mehr gebraucht. »Sanierung der Innenstadt hätte nicht den Wohnungsbedarf gedeckt«, erläutert der einstige Bauleiter Günter Peters. »Wenn das Neubaugebiet weiter beim Stadtbezirk Lichtenberg geblieben wäre, dann hätte der Bezirk schließlich 400000 Einwohner gehabt«, erinnert er sich. »Das wäre nicht mehr regierbar gewesen.« Schon Mitte der 80er Jahre platzte Marzahn aus den Nähten. Berlins SED-Chef Günter Schabowski stellte Ende 1985 bei einer Rundfahrt fest, dass der Bezirk zu groß sei. So kam es, dass der Ortsteil Hellersdorf 1986 eigenständig wurde. »Für die Menschen, die vor 25 Jahren hierher zogen, war es Komfort- keine Kohlen mehr schleppen, das warme Wasser kam aus der Wand«, erzählt Peters. Die Leute rissen sich um die modernen Unterkünfte, Leerstand oder gar Abriss waren unvorstellbar. Tausende Marzahner bepflanzten an den Wochenenden die Vorgärten. Die Verwaltung hatte Not, genug Spaten bereitzustellen. »Eine Neubauwohnung, das war wie ein Fünfer im Lotto«, erklärt der erste Stadtbezirksbürgermeister Gerd Cyske (damals SED). Cyske selbst lebte seinerzeit mit seiner Familie in einer Vier-Zimmer-Wohnung in der 25. Etage am Helene-Weigel-Platz. »Ich musste den Überblick haben«, scherzt er. Den kurzen Weg ins extra gebaute Rathaus konnte Cyske aber nur wenige Monate genießen. Bis Anfang 1989 residierte der Bürgermeister provisorisch in einer Schule. Die Verwaltung war hier und dort untergebracht, das Standesamt zum Beispiel nutzte Wohnungen. 1990 wurde Cyske abgelöst, 1993 wegen Wahlfälschung verurteilt. Er zog in die Poelchaustraße. Die PDS schloss ihn aus. Rund 250000 Einwohner zählt Marzahn-Hellersdorf heute. Es gibt dort zirka 100000 Plattenbauwohnungen. Am 7. Januar, 19 Uhr, diskutieren die früheren Bürgermeister von Marzahn und Hellersdorf, Rathaus, Helene-Weigel-Pl. 8.

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