Hitchcock kommt ins Spiel

»Fenster zum Hof« im textmarker inszeniert

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.
Swing-Musik schallt durchs Zimmer. Der Herr des Hauses trägt Gipsbein und Schlafanzug und hält sich am liebsten am Fenster auf, von wo aus der gezwungenermaßen Untätige per Teleobjektiv seine Nachbarn beobachtet. Bis die Tür aufgeht und ihn eine bezaubernde junge Dame im weißen Nerzmantel aus dem Trübsinn holt. Das kleine Theater textmarker hat sich getraut, Hitchcocks berühmten Klassiker »Fenster zum Hof« für die Bühne zu adaptieren. In dem ehemaligen Ladenlokal sitzen die Zuschauer mitten im Geschehen. Die Sofas und Stühle, auf denen das Publikum platziert wird, sind Teil der Einrichtung. Die Hauptrolle aber spielt das große Fenster an der Frontseite, durch das der im Rollstuhl sitzende Fotograf Jeff in die Wohnungen auf der anderen Straßenseite starrt und dabei einen schrecklichen Verdacht schöpft. Hat der Handelsvertreter von gegenüber seine Ehefrau ermordet? Der Verdacht wird zur Obsession, die Jeff blind macht gegenüber den Avancen seiner Freundin Lisa, die den ewigen Junggesellen endlich an den Altar schleppen möchte. Energisch macht sie sich deshalb an die Aufklärung des Falles und begibt sich in mörderische Gefahr. Alles schon gehabt, könnte man sagen, schließlich besteht schon der Reiz der Filmvariante im Kammerspielambiente. Doch Regisseurin Cecilia Malmström lässt sich in ihrer ersten Theaterinszenierung erst gar nicht auf einen Vergleich ein. Geschickt spielt sie mit verschiedenen Realitätsebenen und neuen Elementen. Alfred Hitchcock wird kurzerhand in die Handlung eingebaut: Als Ekel, der bei den Vorbereitungen zum Filmen seine Assistentin schikaniert, sowie als falscher Pfleger, der sich auf der Suche nach Inspiration bei Jeff einnistet. So gelingen der Hitchcock-Spezialistin Malmström wunderbare Szenen, die anderen Filmen des Meisterregisseurs entlehnt sind. Der Moment, wo Lisa, in zartgrünes Licht getaucht, langsam auf den kleinen Dicken zuschwebt, stammt aus »Vertigo«, andere Szenen verweisen auf »Psycho« oder »Die Vögel«. Auch mit Hinweisen auf den Charakter des Meisters - seine Vorliebe für kühle Blondinen oder seine Dominanz - spart Malmström nicht. Darstellerisch brilliert vor allem Elisabeth Sutterlüty als Lisa, die wie eine brünette Grace-Kelley-Ausgabe ihre Erotik hinter Perfektion verbirgt. Armin Hägele wächst im Laufe des Stücks immer besser in die Rolle des jungen Hitchcock, während es Alexander Flache nicht gelingen will, den überdimensionalen Schatten James Stewarts zu vertreiben. 10., 11., 16.-18., 22.-25.1., 20 Uhr, textmarker, Kopenhagener Str. 16, Prenzlauer Berg, Tel. 0177/4920722
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -