- Kultur
- Plastik, Malerei und Grafik von Hartmut Bonk in den Brandenburgischen Kunstsammlungen Cottbus
Die Leere in der Brust der '89er
Die menschliche Figur ist ein unerschöpfliches Thema der Kunst. Der Bildhauer Hartmut Bonk vertraut ihm. Denn der Mensch ist schließlich das gewaltigste Artefakt der Natur: groß, erbärmlich, ...ein Übergangswesen. Gerade von daher wachsen dem Künstler Assoziationen zu. Die Brandenburgischen Kunstsammlungen präsentieren eine Auswahl jüngerer Arbeiten von Hartmut Bonk; Plastik, Malerei und Grafik unter dem Titel „Chimära“ Jenes sagenumwobene Ungeheuer inspirierte den Künstler zu Phantasiegebilden seltener Eindringlichkeit. Die griechisch-römische Antike liefert ihm seit den achtziger Jahren den Materialfundus für das heutige Zeitbild.
Monumental und dämonisch ragen die Plastiken aus Papiermache 1 in den Raum, wollen ihn ausschreiten. Aber wohin, das ist ungewiß. Gebrochen wird das antike Ideal von Maß, Harmonie und Vollendung, wo es nur geht: im Material, in der Konstitution, in der Reinheit. Und so stehen die strengen Skulpturen - dem griechischen Vorbild gemäß als ganze Gestalten, kein Torso, keine Büste - beängstigend da. benennen in ihren titani-
sehen Gesten Lug und Trug der Macht. Ihre chronischen Perversionen können mitgedacht werden wie das genüßliche Laben der Tyrannen am Elend. „Chimära“, „Über-Ich-Konstruktion“, „Mit Rad“ und „91189“ sind exemplarische Arbeiten. In ihnen entblößt sich Hartmut Bonk, stellt seine Absicht ins Licht: gegenwartsnah zu sein, ohne einem kurzlebigen Realismuskonzept zu verfallen. Eine Differenz, die er bewußt-* sucht. Wer aber so hartnäckig bei der Figur verharrt, paßt' nicht in den postmodernen Bildermarkt der belanglosen Abstraktionen. Indes, er kann es sich leisten, wider den ästhetischen Zeitgeist zu modellieren, weil die Professur an der Berliner Hochschule der Künste ihm das Brot liefert und damit zugleich sein Werk vom Geld unabhängig macht.
Da ist diese Doppelfigur „91189“. Der Tag, an dem die Mauer fiel, symbolisiert von der schreitenden Gestalt, wie wir sie von der Tyrannenmördergruppe aus hadrianischer Zeit kennen. Zwanghaft, starr, aufrecht, in unumschränkter Herrschaft verharrend. So naiv kann es nicht gemeint sein, an Zweieinigkeit
zu glauben. Alles ist imperial angelegt. Ist es allzudeutsch gedacht? Sind die Proportionen von Breker entliehen? Sollen sie provozieren in ihrer Zusammenschau von Mensch und technischem Apparat, der sich den ganzen Brustraum erobert und den Blick freigibt ins Leere? Die Leere ist ein philosophisches Problem, dem diese Kunst auf der Spur ist, unbarmherzig und im Selbstzweifel befangen. Die „Über-Ich-Konstruktion“ stellt Fragen. Woher komme ich, wer bin ich, Wohin gehe 1 ich.' Aus dem Freudschen Psychoapparat greift sich Bonk zielsicher genau diejenige Instanz, in der die Neurosen wurzeln. Intellektuelle Frische, aber auch verworrene Chiffren überfallen den Betrachter.
Als der aus dem Sächsischen kommende Bildhauer 1982 nach Westberlin übersiedelte, führten ihn ausgedehnte Reisen ans Mittelmeer, zur Antike hin. Die dort anzutreffenden archetypischen Sinnbilder für den Menschen als Kunstgegenstand begleiten seither seine Arbeit. Der Mensch-Maschine-Beziehung als einem prägenden Zeichen der Kultur des 20. Jahrhunderts wird nachgespürt.
Schroffe, geometrische Elemente ergänzen das Natürliche auf groteske Art. Die Malerei hält indes dem Vergleich zu den plastischen Arbeiten nicht stand. Ein Hang zum Dekorativen verwirrt das Auge, das Thema wird malerisch nicht ausgearbeitet (delTE, Diptychon, 1993). Auch das „Gaia“-Gemälde (1993), die Erdgöttin der griechischen Mythologie adaptierend, kann deshalb nicht überzeugen. Die Megamaschine unserer Zivili-sation - wie sie Lewis Mumford treffend charakterisierte' - ist ein bislang nicht hinreichend gestaltetes Kunst-Stück für Hartmut Bonk.
Im griechischen Heldengedicht jedoch findet er den Gegenstand für einen überzeugenden Grafikzyklus. Gedankenreiche Radierungen widmet der Künstler der Odyssee. Und im Gewinn liegt zugleich die Schwäche: Die Arbeiten dieser Ausstellung sind von Metaphern überfrachtet. Sie lasten schwer auf dem Werk.
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