Statt im Glück ist Kanzler in der Klemme

Ein Jahr vor der Wahl knirscht es in der Regierung

  • Monika Hinner, ddp
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Zwei Jahre lang lief alles wie am Schnürchen in der Regierung Gerhard Schröders. Doch seit dem Frühsommer ist Sand im Getriebe. Der rot-grüne Reformmotor stottert - statt Kanzler im Glück Kanzler in der Klemme.

Nach einem verkorksten ersten Regierungsjahr - mit dem Rücktritt Oskar Lafontaines von allen Ämtern als Höhepunkt - schwang sich SPD-Chef Gerhard Schröder zum Sonnen-Kanzler empor. Alles was der 57-Jährige anpackte, gelang: Steuer- und Rentenreform, die Arbeitslosigkeit ging zurück. Der grüne Koalitionspartner gab sich handzahm, die eigene Partei und Fraktion stand treu hinter dem Kanzler, die Union war mit sich selbst beschäftigt... Nun aber Brandherde allerorten: Derzeit weiß Schröder nicht, welche Flamme er zuerst austreten soll. Heute befasst sich der Verteidigungsausschuss mit den Flügen des »liebestollen Rudi«, wie Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) längst auch in den eigenen Reihen heißt. Schröder hat dem angeschlagenen Minister bedeutet, er könne im Amt bleiben, wenn die innerdeutschen Flüge mit der Luftwaffe in Ordnung waren. Stellt sich jedoch das Gegenteil heraus, könnte Scharping der achte Ressortchef sein, der vorzeitig aus Schröders Kabinett ausscheidet. Bleibt Scharping, könnte die Opposition das Thema mit einem Untersuchungsausschuss im Wahljahr am Kochen halten. Doch damit nicht genug. Im August stieg die Zahl der Arbeitslosen erstmals seit Amtsantritt von Rot-Grün im Vergleich zum Vorjahresmonat. Von seiner Ankündigung, die Arbeitslosenzahl unter 3,5 Millionen zu drücken, musste der Kanzler abrücken. Auch ein weiteres Regierungsziel, die Neuregelung der Zuwanderung, ist in weite Ferne gerückt. Innenminister Otto Schily (SPD) nahm mit seinem Gesetzentwurf einen möglichen Kompromiss mit der Union vorweg - unterschätzte dabei aber offenbar die Basisverbundenheit des Koalitionspartners. Von Flüchtlingsorganisationen erinnert, fordern die Grünen von Schily, die Verschärfungen zurückzunehmen, die er beim Familiennachzug und beim Status von Ausländern plant, die nur aufgrund einer Duldung in Deutschland leben. Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch drohte nach einer Krisen-Koalitionsrunde am Donnerstag mit Koalitionsbruch. Dafür dürfte nicht nur das humanitäre Anliegen ausschlaggebend sein. Die Grünen zittern um den Wiedereinzug in den Bundestag. Grünes Profil zeigen und zurück zu den Wurzeln, lautet ein Jahr vor der Wahl daher ihre Devise. Auch mehrere SPD-Abgeordnete kündigten an, dem Kanzler in der Zuwanderungsfrage die Gefolgschaft zu verweigern. Das verwundert nur auf den ersten Blick. Schon beim Ausklügeln der SPD-Position zur Zuwanderung zeigten sich im Frühjahr Risse in der Fraktion. Folgerichtig drohten am Wochenende die SPD-Menschenrechtsexpertinnen Karin Kortmann und Lilo Friedrich, gegen den Schily-Entwurf zu stimmen, wenn es keine Nachbesserungen beim Flüchtlingsschutz gebe. Selbst eine Nachwuchshoffnung des Kanzlers, die Innenausschuss-Vorsitzende Ute Vogt (SPD), meldete »noch Diskussionsbedarf« an. Bei Schröder und seinen Adjutanten, SPD-Fraktionschef Peter Struck und SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, dürften die Alarmglocken schrillen. Gerade erst verfügte der Kanzler bei der Parlamentsentscheidung zu Mazedonien erstmals nicht über eine eigene Mehrheit und war auf Stimmen der Opposition angewiesen. Möglicherweise rächt es sich jetzt, dass die großen Drei der SPD die Fraktion an der kurzen Leine gehalten haben. Unbehagen macht sich breit unter den Abgeordneten. Mit dem Ausbleiben weiterer Regierungserfolge wollen sich viele nicht als »Stimmvieh« degradieren lassen. Auch in der Partei tun sich fast vergessene Konfliktfelder auf. Am Wochenende nutzten zwei starke Strömungen der Partei Kongresse, um ihren unterschiedlichen Ansichten über die Gestaltung des Sozialstaates Gehör zu verschaffen. Die Partei-Linke forderte die SPD-Spitze zur sozialpolitischen Kurskorrektur auf. Den sozialen »Kompetenzvorsprung«, den die SPD immer vor anderen Parteien gehabt habe, sei »zusammengeschmolzen«, bemängelte die Vorsitzende des Forum Demokratische Linke 21, Andrea Nahles. Die Partei müsse Gerechtigkeit wieder ins Zentrum rücken, blies die Ex-Juso-Chefin zum linken Aufbruch. Die SPD-Modernisierungsgruppe Netzwerk 2010 hingegen plädiert für eine weitere Verschlankung des Staates. Die beim Parteivorstand angesiedelte Gruppe versteht sich als Plattform für 30- bis 40-jährige Verantwortungsträger in und außerhalb der SPD. Einige Netzwerker machen sich dafür stark, Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe zusammenzuführen. Das ist genau die Position, die SPD-Linke für den Glaubwürdigkeitsverlust der SPD in der sozialen Frage verantwortlich machen. In der Zerrissenheit der eigenen Partei in ursozialdemokratischen Themen könnte das nachhaltigste Problem von Schröder lieg...

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