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Potsdam, Metropole der Kriminalität

Kripo hängt am Tropf- nun wird ihr noch die Schuld in die Schuhe geschoben

  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn es um Ursachenfahndung für horrende Kriminalität geht, sieht man sich mit einem Schwall blumiger Worte konfrontiert. Jüngstes Beispiel lieferte Potsdams Polizeipräsident Detlef von Schwerin, der die Schuld allemal sonstwo und bei sonstwem sucht.

Daß Potsdam letztes Jahr zur Bundeshauptstadt der Straftaten geworden ist, kann derweil auch von Schwerin nicht schönreden. Die Häufigkeitszahl, die Kriminalität auf 100 000 Einwohner hochrechnet, beläuft sich hier nämlich auf 22 944 (in Berlin: 16 325; beim bisherigen Spitzenreiter Frankfurt/Main: 21212; im Land Brandenburg insgesamt: 12 901).

Da gerät der Polizeichef in Erklärungsnöte, die abschweifige wie phantasievolle Gebilde entstehen lassen. Schuld ist nämlich nach seinen Worten das Phänomen, daß die Stadt „nicht nur zum Speckgürtel, sondern auch zum Kriminalitätsgürtel von Berlin“ gehöre und dazu von jährlich 2,5 Millionen Touristen heimgesucht werde, gar manche von ihnen in der Absicht zu klauen, Postämter zu überfallen, sich zu prügeln. Belegen kann er dies

freilich nicht - Kriminalität wird üblicherweise, auch in seinem Hause, nach Tatorten registriert, nicht nach dem Wohnsitz der Täter

Auch lastet von Schwerin seiner von Überstunden geplagten Kripo „mangelnde Polizeiarbeit“ an - die Aufklärungsquote bewegte sich vergangenes Jahr um die 27 % (46,5 % im Kriminalgebiet Ost), heuer um die 34 %. Und schließlich ortete er weitere Sünder in den Betroffenen selbst - die Leute, die ihr Eigentum nicht ausreichend sicherten.

Solch Ausflüchte und abgeschobene Verantwortung rief denn auch den Landesverband des Bundes der Kriminalisten (BDK) auf den Plan. Effektive Verbrechensbekämpfung hänge zuallererst, so Landesvorsitzender Wolfgang Bauch, mit Organisation, Instrumentari-

um, Struktur sowie personeller und materieller Ausstattung zusammen.

Und da läge vieles im argen. Weil das eine einfach kritiklos importiert, die Vorstellungen einheimischer Insider ignoriert wurden. Und das andere zwar bei den zuständigen Politikern bekannt sei, Zusagen, dies rasch zu ändern, allerdings in „leeren Versprechungen, Beschwichtigungen, Beschönigungen“ verharrten. Zudem würden einstmalige DDR-Polizisten von oben als Polizeiangehörige „minderer Klasse“ betrachtet, die man bezichtige, alte Strukturen bewahren zu wollen.

Auch mit der in der Tat niedrigen Aufklärungsquote setzt sich der BDK auseinander. Sie sei letztlich Folge fehlenden Vertrauens in die Polizeiführung und „der bis heute kaum reduzierten, geschweige denn beseitigten psychologischen, personellen und materiellen Beschränkungen und Hemmklötze in der Polizei“ Nicht mangelnde Bereitschaft, sondern die totale, in Potsdam be-

sonders augenfällige Überlastung habe zu dem kümmerlichen Ergebnis geführt. Die 1993 bei der Dezentralen Kriminalitätsbekämpfung aufgelaufenen 30 000 Anzeigen in der Stadt hätten von 43 Sachbearbeitern bewältigt werden müssen. Der BDK nennt dies eine katastrophale Situation, in der bekanntlich Straftaten nicht mehr bekämpft, sondern nur noch verwaltet werden können.

Der BDK wiederholte seine Forderung, daß die vor geraumer Zeit vom Innenminister versprochene zusätzliche Einstellung von 300 Kriminalbeamten im Land nun endlich auch realisiert wird. Den dafür im Landtag dringend zu beschließenden Nachtragshaushalt werde es wohl aber in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben. Und nach Lage der Dinge sei zu befürchten, daß nach den Landtagswahlen rigoros der Rotstift angesetzt werde. Doch leere Wahlversprechen, meint der BDK, helfen weder Bevölkerung noch Polizei. RAINER FUNKE

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