„Mir war vorher klar: Der Sieger wird zerrissen“
Architekt BERND NIEBUHR zu seinem Spreeinselentwurf, zum Palast der Republik und zum Staatsrat
Vor vier Monaten gewann der bis dahin reichlich unbekannte Architekt Bernd Niebuhr überraschend den städtebaulichen Wettbewerb für die Berliner Spreeinsel und damit nach „Spreebogen“ und „Reichstag“ den - zumindest vorläufig letzten der großen Hauptstadtwettbewerbe. Mit seinem Abrißkonzept für Palast der Republik und Staatsrat, dem Rückgriff auf Stadtstrukturen des 19 Jahrhunderts fachte er die Diskussion um die Planung der Berliner Mitte neu an. ND sprach mit dem Überraschungssieger, der jetzt mit der Überarbeitung seines Entwurfs begonnen hat.
Formen Sie die Stadtmitte am Reißbrett neben dem Küchentisch, wie eine Zeitung behauptete?
Wie Sie sehen, arbeite ich in einem ganz normalen Architektenbüro in Kreuzberg.
Was passiert während der Überarbeitungsphase mit Ihrem Entwurf?
Da werden die Kritikpunkte der Jury, also etwa zur starken Überbauung der Wallanlagen als auch zur Fischerinsel, berücksichtigt. Der Bezirk Mitte beispielsweise möchte die Wallanlagen in sein Grünringkonzept vom Lustgarten bis zum Alex einbinden. Dann geht es um die bauliche Fassung von Hausvogteiplatz, Spittelmarkt und Werderstraße. Dazu sind Abstimmungen nötig. Wir stehen jetzt noch ganz am Anfang, wollen diese Phase aber bis Dezember abschließen. Dann erfolgt die eigentliche Überarbeitung, die Grundlage für die Bebauungspläne sein wird.
Während die Bundesbauministerin das Staatsratsgebäude schnell abreißen möchte, will es Berlin möglichst lange stehen lassen. Berücksichtigen Sie das?
Natürlich untersuchen wir ' Möglichkeiten dafür Diehäni gen ab^r,davon ab, wo, der er-' sie Bauabschnitt für “ das Außenministerium plaziert wird. Wir haben Verschiedenes schon durchgespielt, aber es gibt noch keine Entscheidungen. Die müssen aber in nächster Zeit fallen, denn Anfang nächsten Jahres soll ja schon der Bauwettbewerb fürs Außenministerium ausgeschrieben werden.
Das Staatsratsgebäude wird fast einhellig als eine der besten Leistungen der DDR-Architektur angesehen. Es steht unter Denkmalsschutz. Warum muß es nach Ihrem Entwurf fallen?
Der Staatsrat ist zweifellos ein wertvolles und geschichtsträchtiges Gebäude. Aber wenn man die Vorgabe hat, 100 000 m 2 Bruttogeschoßfläche für das Außenministerium neu zu bauen und den Staatsrat stehen läßt, wird der Neubau ein toter Megablock, weil man die Brüderstraße nicht öffnen kann. Man zementiert eine unendlich große Betonmasse. Als noch während des Wettbewerbs die Diskussion aufkam, ob das Außenministerium überhaupt einen Neubau bekommt, habe ich die Baumassen so plaziert, daß die Straßen, der öffentliche Raum als das Wichtigste erscheinen. Ich habe kein großartiges Außenministerium entworfen, sondern einzelne Blocks, Bausteine, die man auch als Wohnbauten nutzen könnte. Es ist also ein normaler Stadtteil entstanden, dem sich das Ministerium unterordnet.
Das mit dem Küchentisch war ja noch harmlos. Wie haben sie denn Kritiken aufgenommen, die unter Überschriften liefen wie „Kahlschlagskonzept“, „Entwurf fürs Archiv“, „Makulatur“?
Mir war vorher klar, wer da gewinnt, der wird zerissen. Die Fronten waren doch schon vorher verhärtet. Die Schloßfraktion und die Palastfraktion gab es längst. Den Palast abzureißen und das Schloß wieder aufzubauen, das wäre unter diesen Umständen wirklich das Fatalste. Weil es rückwärtsgewandt ist.
Rückgriff auf das 19. Jahrhundert wirft man aber auch Ihnen vor, weil Sie das alte Straßenraster und die Blockstrukturen wiederherstellen. Wäre da der Wiederaufbau “des'Schlusses 1 nicht 'lediglich konsequent?
Das Schloß ist ja imaginär noch vorhanden. Weil es die Räume noch gibt, die es begrenzt haben, der Lustgarten, der Schloßplatz, die Breiteund die Werderstraße. Sie haben nur keinen Maßstab mehr Auf das Schloß war der Städtebau lange Zeit ausgerichtet,
es hat deshalb etwas mit der Identität Berlins zu tun. Wir haben aus diesem Grund unser Stadthaus anstelle des Palastes in der Kubatur des Schlosses geplant. Wenn jetzt nichts mehr da wäre von den Plätzen und Straßen ringsum, müßte man sich die Frage stellen, ob man eine ganze Stadt rekonstruiert. Das habe ich aber nicht gemacht. Die, die das Schloß wieder auf- und überhaupt historisch bauen wollen, versuchen, den Städtebau für sich in Anspruch zu nehmen. Das ist nicht meine Absicht. Man darf aber auch nicht mit Städtebau zu weit gehen und den Ort zerstören.
Das zerstörerische Element kommt aber auch bei Ihnen nicht zu kurz. Der Palast verkörpert ein Stück Identität ei-
Wenn man Gebäude abreißt, dann ist das oft ganz schwer für die Menschen. Das ist immer so ein kleiner Tod und macht den Menschen Angst. Trotzdem muß man abwägen: Was bedeutet es auf lange Sicht, das Gebäude stehen zu lassen, und was, wenn man sich davon befreit. Der Palast ist zweifellos von seinem Inhalt her das wichtigste 'Gebäude, das dem Bürger die Mitte der Stadt gab. Er hat nur diese große Leere erzeugt. Wenn der Palast anders stehen würde, wäre die ganze Abrißdiskussion gar nicht aufgetaucht.
Der Abriß war politisch vorgegeben. Wie hat Sie das beeinflußt?
Ich habe den Palast nicht abgerissen, weil das so in der
Ausschreibung stand, sondern mich frei entschieden. Darüber war ich mir im klaren, nachdem ich mich mit dem Ort auseinandergesetzt habe, also mit der Frage, was ist die Identität Berlins. Wenn man erkannt hat, dies hier ist die wichtigste Stelle Berlins, vielleicht der Bundesrepublik, dann muß man fragen, ob der Palast sie repräsentiert. Ist er das Gebäude, das auf die Zukunft bezogen die Mitte artikuliert? Seine Art von Architektur finden Sie doch in ganz Europa.
Man kann sich die Stadt doch nicht einfach schön denken, sondern muß auch mit dem Vorhandenen umgehen. Aber von 40 Jahren DDR bleibt im Stadtzentrum kaum was übrig.
Weil die Alltagskriminalität so groß ist. Weil man am Alex alles abreißt und ein paar Meter weiter neu aufbaut, weil Firmen aus Westdeutschland mit farbigen Blechen ganze Siedlungen überziehen und man gar nicht mehr erkennen kann, wann dieses Haus entstanden ist, und weil im Bezirksamt Mitte 180 Abrißanträge vorliegen. Da ist es natürlich unheimlich schwer, sich am wichtigsten Ort Berlins ernsthaft mit Geschichte auseinanderzusetzen. Ich weiß natürlich, daß der Palast ein Stück Geschichte in der Berliner Mitte ist.
Bei der Abrißvorgabe spielte diese Bedeutung des Palastes oder seine passende oder unpasssende Architektur ja gar keine Rolle. Weil man sich nicht getraut hat zu sagen, wir wollen den Palast nicht, hat man einen anderen Grund gefunden.
Der Asbest ist natürlich nur ein Manöver. Wenn man glaubt, daß der Palast das Gebäude ist, das die Mitte glaubhaft darstellt, dann dürfte Asbest kein Problem sein.. Dann steht nur die Frage, wann haben wir das Geld, es in Angriff zu nehmen. Mit Sicherheit ist der Erhalt billiger als ein Neubau. Man muß sich allerdings fragen, ist es wirklich das Gebäude, mit dem man sich identifizieren kann. Und zwar nicht als Gesellschaft von 1980, von West und Ost, sondern als Gesellschaft im Jahre 2000 plus x. Und da denke ich, daß heute noch nicht der Zeitpunkt ist,
darüber zu entscheiden, weil es diese Gesellschaft noch nicht gibt. Deshalb reagiert sie auch so aufgeregt auf dieses Ergebnis. Das wäre also auch bei jedem anderen so gewesen.
Die Entscheidung wurde aber von den Architekten schon jetzt verlangt. Fühlen Sie sich mißbraucht?
Nein. Es war ja ein städtebaulicher Wettbewerb, und von mir wurden Aussagen zu dem Bereich erwartet, die auch in Zukunft Bestand haben. Und ich glaube, daß sich die Gesellschaft der Zukunft nicht mit dem Palast identifizieren kann, weil das Gebäude zwar von seiner Funktion, aber nicht von seiner Architektur überzeugt. Das bedeutet aber nicht, daß jeder Baustein eines solchen städtebaulichen Plans sofort verwirklicht werden muß. Man muß aber für die Mitte ein Konzept haben, eine Art Überplan. Der hat nicht zur Bedingung, daß alles sofort und gleichzeitig gebaut wird. Aber wenn man das Außenministerium baut, muß man auch wissen, wie der Städtebau ringsum mal aussehen soll. Ohne konkret beispielsweise das Raumprogramm unseres Stadthauses zu kennen. Jetzt ist aber klar, daß das Stadthaus ein öffentliches Gebäude ist. Es bestand ja auch die Gefahr, daß das Außenministerium auf dem Marx-Engels-Platz gebaut wird. Und das wäre die größte Katastrophe gewesen. Jetzt haben ja im Grunde selbst die Leute, die den Palast stehen lassen wollen, wieder eine Chance, weil an dieser Stelle noch kein Handlungsbedarf besteht.
Seine Zwischennutzung, wie sie auch die Bauministerin ins Spiel gebracht hatte, würde Sie nicht stören?
Überhaupt nicht. Wenn dort in nächster Zeit nicht gebaut wird, sollte man ihn öffnen.
Sie glauben, daß Ihr Entwurf tatsächlich, und nicht nur in Teilen, realisiert wird?
Sicher nicht so, wie Sie ihn hier sehen. Die Brüche kommen von allein. Und auf dem Marx-Engels-Platz passiert in diesem Jahrtausend überhaupt nichts mehr Irgendwann wird's hier einen Bauwettbewerb geben, vielleicht in 15 Jahren.
Gespräch: BERND KAMMER
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