Politischer Filz um Vorzeigeunternehmer Pilz

Wirtschaftsminister und andere Promis geraten vor Justiz in Bedrängnis

  • Peter Liebers
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Thüringen droht ein handfester Justizskandal: Im Prozess gegen den einstigen Vorzeigeunternehmer und CD-Produzenten Rainer Pilz werden Verwicklungen mit prominenten Landespolitikern immer deutlicher.

Mit einem Ende voriger Woche bekannt gewordenen Brief an den Thüringer Generalstaatsanwalt hat Michael Krämer, der im Pilz-Prozess führende Richter, eine Lawine ausgelöst. In seinem Schreiben zeigt er sich höchst verwundert darüber, dass die Generalstaatsanwaltschaft Ende vorigen Jahres das Ermittlungsverfahren gegen den einstigen Thüringer Wirtschaftsminister Jürgen Bohn (FDP) und weitere prominente Personen eingestellt hat, die im Zusammenhang mit dem Prozess in den Verdacht geraten waren, staatliche Gelder veruntreut zu haben. Nach den der Kammer vorliegenden Akten bestehe trotz der Einstellungsverfügung der Verdacht, dass sich die Betroffenen im Sinne des Vorwurfs schuldig gemacht haben, schreibt Krämer. Aus seiner Sicht müssten die Ermittlungen sogar auf weitere Personen ausgedehnt und Anklage erhoben werden. Immerhin geht es dabei auch um damalige Kabinettsmitglieder, die heute noch im Amt sind. Die einschlägigen Akten seien zu keiner Zeit von den Ermittlungsbehörden gesichtet worden, wundert sich Krämer und schreibt: »Es könnte der Eindruck entstehen, dass aus politischer Rücksichtnahme die Ermittlungen nicht in dem erforderlichen Umfang geführt worden sein könnten.« Sollte das nicht geändert werden, seien seines Erachtens die Bemühungen der Staatsanwaltschaften und der Rechnungshöfe, die Verschwendung öffentlicher Gelder zu unterbinden, zum Scheitern verurteilt. Ein Sprecher des Generalstaatsanwaltes wies diese Vorwürfe erwartungsgemäß zurück und behauptete, die Ermittlungen seien objektiv geführt worden. Doch daran mag in Erfurt niemand wirklich glauben. Schließlich sind bis heute Akten, die Krämer bei einer Durchsuchung in der Erfurter Staatskanzlei beschlagnahmen ließ, durch Sperrvermerke der Einsicht durch das Gericht entzogen. Dass der damalige Justizminister Andreas Birkmann (CDU) seinerzeit Kabinettskollegen vor einschlägigen Durchsuchungen gewarnt hatte, ist bis heute nicht vergessen. Ein bezeichnendes Licht auf die Thüringer Verhältnisse wirft in diesem Zusammenhang auch der Umstand, dass Krämer für die Durchsuchung nicht Beamte des Landes- sondern des Bundeskriminalamtes anforderte. Akribisch aufgelistete Fakten in einem »Vermerk« Krämers bestätigen, was Prozessbeobachter längst nicht mehr anzweifeln: Dass die Landesregierung aus politischen Gründen noch Geld in das Pilz-Unternehmen gepumpt hat, als das längst nicht mehr zu retten war. Dass das sehenden Auges geschah, geht aus Aktenvermerken des damaligen Wirtschaftsstaatssekretärs Friedrich Stamm hervor, der Rückforderungen von über 62 Millionen Mark durch die EU befürchtete und die Übernahme des Unternehmens als Fehler bezeichnete. Krämer schlussfolgert in seinem Vermerk denn auch, dass die »mögliche EG-Rechtswidrigkeit des Engagements des Freistaates Thüringen durch das Eintreten von der Thüringer Industriebeteiligungsgesellschaft und Thüringer Aufbaubank« den Verantwortlichen bekannt war. Die Thüringer Oppositionsfraktionen von PDS und SPD haben Krämers Brief inzwischen zum Anlass genommen, eine Sondersitzung des Justizausschusses des Landtages zu beantragen. Die PDS fordert dabei, Krämer im Ausschuss anzuhören. Fraktionschef Bodo Ramelow kündigte zugleich an, dass seine Fraktion eine Landtagssondersitzung beantragen wird, falls im Ausschuss die Fragen seiner Partei nicht glaubhaft beantwortet werden. Ramelow wertete die Vorgänge um die Einstellung des Ermittlungsverfahrens als »Berlusconisierung Thüringens«. In Erfurt wird inzwischen schon gemunkelt, dass gegen Krämer dienstrechtliche Schritte erwogen werden. Damit allerdings würde die politische Sprengkraft des Vorganges wenige Wochen vor der Landtagswahl am 13.Juni nicht eli...

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