- Kultur
- Premiere in der Komischen Oper Berlin: „Der gewaltige Hahnrei“ von Berthold Goldschmidt
Spannend bis zum letzten Augenblick
Petrus (Roger Smeets) soll Stella (Yvonne Wiedstruck) zum Ehebruch verleiten Foto: Joachim Fieguth
Mit dieser Premiere während der Festwochen steht die Komische Oper wieder ganz im musikalischen Zentrum Berlins. Chefregisseur Harry Kupfer gewann das inszenatorische Heimspiel mit Längen. Ovationen und Bravos am Ende feierten ihn und sein Ensemble wie selten einmütig.
Eigentlich sollte ja Goldschmidts musikalische Tragödie „Der gewaltige Hahnrei“ nach dem Schauspiel des Belgiers Crommelynck schon 1932 in Berlin uraufgeführt werden. Aber dann gab's das Stück zuerst in Mannheim. Und der junge Komponist mußte seiner jüdischen Herkunft wegen Deutschland verlassen. Er lebt seitdem in England. Nun erst kommt der inzwischen 91jährige in Berlin wieder zu Ehren. Tragik eines Künstlerschicksals im Schatten des Dritten Reiches.
Konzertant wurde „Der gewaltige Hahnrei“ vor zwei Jahren schon vom Radio-Symphonie-Orchester in der Philharmonie vorgestellt. Aber erst die Inszenierung in der Komischen Oper läßt den außerordentlichen Rang dieser Partitur so ganz deutlich werden. Die Musik hat Schärfe, dramatische Dichte, Transparenz und weiß sich den Ausdruckswerten großen Operngesanges auf eigene, überzeugende Weise verbunden. Die Ingredienzien der Stilistik der 20er Jahre prägen Artikulation und Gestus.
Dazu ein grotesk-tragisches Spiel auf zirzensischem Trapez, in der Überspitzung zugleich weise und liebevoll Menschlich-Allzumenschlichem sich widmend:
Bruno und Stella sind ein angesehenes, glückliches Paar in ihrem Dorfe. Sie tut alles, ihm ihre Liebe zu beweisen, er liebt sie auch. Aber er traut dem idyllischen Frieden nicht. Er will wissen, ob sie ihn nicht doch betrügt und mit wem. Also versucht er, sie mit einem Jugendfreund zu verkuppeln. Erfolglos. Schließlich macht er sie zur Hure und jagt die Männer des Dorfes auf sie. Am Ende versucht er, sie maskiert zum Ehebruch mit sich selbst zu bringen. Beide gehen an seinem Wahrheitsfanatismus zugrunde. Sie, die so unsäglich Mißbrauchte, flüchtet sich in die starken Arme des Ochsenhirten. Er ist am Ende für die Welt in seinem Dorf der gewaltige Hahnrei, zu dem er sich selbst gemacht hat.
Das theatralische Spiel auf dem psychologischen Drahtseil ist für Harry Kupfer genau die richtige Aufgabe. Er arbeitet in bekannter Präzision die Charaktere heraus, schafft damit Spannung auf der Szene vom ersten bis letzten Augenblick. Die Szene wiederum schuf ihm Hans Schavernoch mit einer sich um sich selbst drehenden Wippe in der Mitte, die das ständige Verlieren des Gleichgewichtes bei den Ak-
teuren trefflich charakterisiert, mit schaumig-neutralen Kunststoff-Umgängen, Gittern, die die Szene wie ein Raubtierkäfig umschließen, mit blendendem Neonlicht, poppigen Farben. Die satinglänzenden Kostüme (Reinhard Heinrich) verstärken den Eindruck des grotesken zirzensischen Spieles. Das gibt faszinierende Bilder. So, wenn der im Zentrum stehende Gatte wie ein Dompteur mit der Peitsche die Männer auf seine Frau hetzt, die wiederum, noch immer seinem Willen gefügig, durch deren Reihen tänzelt und sich den einen oder anderen aus der geilen Schar aussucht. Über dem Ganzen auf dem Seil radfahrend der Gendarm, der dem Treiben entrüstet zuschaut.
Die Komische Oper wartet mit einer idealen Besetzung auf: Günter Neumann, der Gatte Bruno, hat hier wieder einmal seinen ganz großen Triumph. Mißtrauen, bohrende Zweifel, hektisches Selbstvertrauen stehen ihm vom ersten Moment an im Gesicht. Er liefert eine Studie zunehmender Persönlichkeitsdemontage von packender Intensität, hat auch gesanglich alles zu bieten, was die Partie fordert. Yvonne Wiedstruck ist Stella: gutaussehend, naiv-zutraulich, ängstlich, überfordert, verzweifelnd am Ende. Und den großen, schönen melodischen Bögen ihrer Rolle immer wieder mit leuchtendem Sopran.Profil gebend. Auch alle anderen Mit-
wirkenden werden von Kupfer in genau ausgearbeitetem Profil geführt. Voran Anny Schlemm als resolute Amme; Roger Smeeds als Petrus, der Freund Brunos; Klemens Slowioczek als Ochsenhirt; Bernd Grabowski als Gendarm; Hans-Otto Rogge als Schreiber Szenisch präsent und überzeugend im Gesanglichen wieder Chorsolisten des Hauses (einstudiert von Peter Wodner), die Leute aus dem Dorf, die das Paar mit ihrem Mißtrauen verfolgen, den Hahnrei verspotten und die Frau am Ende tätlich bedrohen, damit Ordnung bleibe in ihrer spießigen Welt.
Mit diesem Abend lieferte der junge Yakov Kreizberg als neuer musikalischer Chef der Komischen Oper seine erste Premiere im Hause ab. Mit beachtlichem Erfolg. Das Orchester spielte präzise, nur gelegentlich die Stimmen ein wenig zudeckend. Alle musikalischen Fäden hatte er sicher in der Hand. Seine Art des genauen, transparenten und doch zupackenden Musizierens erweist ihn als potenten Mann für das Musiktheater
Der anwesende Komponist, dem auch eine aufschlußreiche kleine Ausstellung im Foyer der Oper gewidmet ist, konnte sich mit seinen Interpreten sichtlich beeindruckt für die Ovationen der Premierenbesucher bedanken. Eine späte Ehre, zugleich aber auch sicher eine Genugtuung.
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