Kunstgeschichte als Lebenswert
Richtigstellung einer beschädigten Biografie
Erinnerungen eines Kunsthistorikers interessieren, so könnte man meinen, allenfalls dessen Fachkollegen. Bei diesem Buch, das ein tapferer Kleinstverlag lobenswerterweise druckte, ist das weit gefehlt. Der von Friedrich Möbius mit Sprachkunst und Leidenschaft geschriebene Lebensbericht fesselt unter vielen Aspekten. Nicht nur, wer selbst im Osten Deutschlands in einem wissenschaftlichen oder künstlerischen Bereich tätig war oder ist, wird vieles vom eigenen Weg wiederfinden, wenn er oder sie dem Verfasser durch Lebensstationen und politische Situationen, durch Entstehung und Wandlungen von Einsichten, Illusionen und Verhaltensweisen, durch existenzielle Entscheidungen, durch die Glücksmomente, Enttäuschungen und auch Demütigungen in einem selbstgewählten geliebten Beruf folgt. Wem Wissenschaft, jene Jahre oder Ostdeutschland nicht vertraut sind, kann viel Allgemeingültiges lernen.
Um so prägnanter treten dann die individuellen Erfahrungen, Charakterzüge, Schlussfolgerungen, Leistungen und die bei niemandem ausbleibenden Irrtümer hervor, die der Autor mit großer Offenheit darlegt und auch mit vielen Originaldokumenten belegt - ebenso selbstbewusst wie selbstkritisch. Wie jedes Leben ist auch dieses ein einmaliger, besonderer Fall, der als Mosaikstein dem ganzen Bild von Wirklichkeit, Kunst und Leben in der DDR und in dem Jahrzehnt seit 1990 seine eigene Farbe hinzufügt.
Friedrich Möbius, Jahrgang 1928, gehört wie sein Rezensent und Fachkollege zur »Flakhelfer«-Generation, die aus Hitlerjugend und Kriegserlebnissen kommend ihren eigentlichen, bewussten Anfang nach 1945 zu gestalten versuchte. Neben dem Studium in Leipzig zunächst für die CDU-Zeitung über Kunsterlebnisse und -fragen schreibend, wurde er rasch zu einem methodisch kreativen Erforscher mittelalterlicher Kirchenbaukunst - und dann als Assistent in Jena durch den Philosophen Georg Mende zum Marxisten und Genossen. Die »Lust der Wissensvermittlung« (S. 97), die er seit 1967 als Dozent betreiben konnte, und die schließlich gewonnene grundsätzliche Identifikation mit dem Gesellschafts- und Kulturversuch in der DDR ließen ihn den zähen, jahrelang fast aussichtslos erscheinenden Kampf nicht aufgeben, gegen alle Blind- und Dummheit in den eigenen Reihen den Wert des Kunsterlebens, besonders den von mittelalterlicher Architektur und Plastik zu behaupten und lehrend oder schreibend weiterzugeben. Die Hochschulreform der 60er Jahre zwang ihn auf Umwege, weil das Fach Kunstgeschichte aus der Jenenser Universität hinausprofiliert und eine Beschäftigung mit mittelalterlicher Kunst für überflüssig angesehen wurde. Er verstand es, auch den Umweg in die Kulturtheorie und Allgemeinbildung ideenreich fruchtbar zu machen. Seine besondere Fähigkeit, ein mit allen Sinnen erfahrenes Bau- oder Kunstwerk gleichsam zum Sprechen über Geschichte zu bringen, überzeugte auch viele Teilnehmer an Kulturpraktika und Exkursionen für Studenten anderer Fachrichtungen.
Das nachdrücklich vom heutigen Betrachtersubjekt ausgehende Verstehen auch der ursprünglichen Bedeutungen von Formen alter Kunstwerke, ein früher Beitrag zu der international neu aufkommenden Methode der Rezeptionsästhetik, war keine leichtfertige Aktualisierung. Schon deshalb nicht, weil Möbius sie mit strenger Beweisführung aus subtil analysierten und dadurch neu interpretierten Schriftquellen verband. Das gab seinen Büchern und Aufsätzen, die er mehrmals auch gemeinsam mit seinen im selben Fach tätigen Lebenspartnerinnen schrieb, ein wissenschaftliches Gewicht, das bald auch außerhalb der DDR erkannt wurde. In der DDR bewirkte es, dass ihm in den 70er Jahren endlich die Bearbeitung des Mittelalters im Zentralen Forschungsprojekt einer Geschichte der deutschen Kunst (Seemann-Verlag, Leipzig) übertragen und seine Professur für Kulturtheorie 1976 in eine für Kunstgeschichte umgewandelt wurde. Allerdings verstrichen zwischen der argwöhnisch begutachteten Eröffnungsverteidigung des Bandes über die Periode von 1200 bis 1350 im Jahr 1981 noch acht Jahre bis zum Erscheinen.
Seiner Schilderung ist abzulesen, dass sich Friedrich Möbius mehr als mancher andere über die extreme Vergeudung von Arbeitszeit und -kraft durch Papierkrieg und nutzlose Veranstaltungen ärgerte, die jedem damaligen »staatlichen Leiter« in traurigster Erinnerung ist. Wie Viele sah er darin und in den Demokratiedefiziten und der Drangsalierung andersdenkender Künstler einen tiefen Schaden für den Sozialismus und empfand »Trauer und Wut über den zerstörerischen Umgang mit einer großen Vision« (S. 275). Dass er sich ausgerechnet das MfS als Beschwerdestelle aussuchte und die Diskussionsbereitschaft seines Führungsoffiziers nicht als Ausforschung zu überwachender Meinungen begriff, erwies sich allerdings als naive Verkennung des Systems, die allein für ihn im Nachhinein Folgen hatte. Als er 1990, mitten in der Freude, dass es in Jena wieder richtige Kunstgeschichtsstudenten gab, die er unterrichten konnte, dem Vorsitzenden der Evaluierungskommission, der jetzt ein Geleitwort zu der Autobiografie beisteuerte, freiwillig davon berichtete, dauerte es nur ganz wenige Monate, bis ihn die neuen Behörden ohne jedes weitere Gespräch entließen.
Namhafte Fachkollegen in Hamburg, dann in Karlsruhe, die längst seinen Ideenreichtum, seine Kompetenz und seine Persönlichkeit schätzten, gaben ihm, ungerührt von den haltlosen Beschuldigungen, die Möglichkeit, als Gastprofessor sein gedemütigtes Selbst-Bewusstsein wiederzugewinnen. Der etwas ausufernde Schlussteil der Autobiografie mit methodologischen Reflexionen über diese Literaturgattung und vielen Zitaten aus Veröffentlichungen anderer wie aus privaten Briefwechseln lässt erkennen, dass Friedrich Möbius, der weder aufhört zu forschen, noch sich in öffentliche Diskurse einzumischen, mit dem Historikerurteil über sich und über die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen er lebte bzw. lebt, nicht am Ende angelangt ist. Auch darin werden ihm viele Leser zustimmen.
Friedrich Möbius: Wirklichkeit - Kunst - Leben. Erinnerungen eines Kunsthistorikers. Jena, Quedlinburg: Bus...
Um so prägnanter treten dann die individuellen Erfahrungen, Charakterzüge, Schlussfolgerungen, Leistungen und die bei niemandem ausbleibenden Irrtümer hervor, die der Autor mit großer Offenheit darlegt und auch mit vielen Originaldokumenten belegt - ebenso selbstbewusst wie selbstkritisch. Wie jedes Leben ist auch dieses ein einmaliger, besonderer Fall, der als Mosaikstein dem ganzen Bild von Wirklichkeit, Kunst und Leben in der DDR und in dem Jahrzehnt seit 1990 seine eigene Farbe hinzufügt.
Friedrich Möbius, Jahrgang 1928, gehört wie sein Rezensent und Fachkollege zur »Flakhelfer«-Generation, die aus Hitlerjugend und Kriegserlebnissen kommend ihren eigentlichen, bewussten Anfang nach 1945 zu gestalten versuchte. Neben dem Studium in Leipzig zunächst für die CDU-Zeitung über Kunsterlebnisse und -fragen schreibend, wurde er rasch zu einem methodisch kreativen Erforscher mittelalterlicher Kirchenbaukunst - und dann als Assistent in Jena durch den Philosophen Georg Mende zum Marxisten und Genossen. Die »Lust der Wissensvermittlung« (S. 97), die er seit 1967 als Dozent betreiben konnte, und die schließlich gewonnene grundsätzliche Identifikation mit dem Gesellschafts- und Kulturversuch in der DDR ließen ihn den zähen, jahrelang fast aussichtslos erscheinenden Kampf nicht aufgeben, gegen alle Blind- und Dummheit in den eigenen Reihen den Wert des Kunsterlebens, besonders den von mittelalterlicher Architektur und Plastik zu behaupten und lehrend oder schreibend weiterzugeben. Die Hochschulreform der 60er Jahre zwang ihn auf Umwege, weil das Fach Kunstgeschichte aus der Jenenser Universität hinausprofiliert und eine Beschäftigung mit mittelalterlicher Kunst für überflüssig angesehen wurde. Er verstand es, auch den Umweg in die Kulturtheorie und Allgemeinbildung ideenreich fruchtbar zu machen. Seine besondere Fähigkeit, ein mit allen Sinnen erfahrenes Bau- oder Kunstwerk gleichsam zum Sprechen über Geschichte zu bringen, überzeugte auch viele Teilnehmer an Kulturpraktika und Exkursionen für Studenten anderer Fachrichtungen.
Das nachdrücklich vom heutigen Betrachtersubjekt ausgehende Verstehen auch der ursprünglichen Bedeutungen von Formen alter Kunstwerke, ein früher Beitrag zu der international neu aufkommenden Methode der Rezeptionsästhetik, war keine leichtfertige Aktualisierung. Schon deshalb nicht, weil Möbius sie mit strenger Beweisführung aus subtil analysierten und dadurch neu interpretierten Schriftquellen verband. Das gab seinen Büchern und Aufsätzen, die er mehrmals auch gemeinsam mit seinen im selben Fach tätigen Lebenspartnerinnen schrieb, ein wissenschaftliches Gewicht, das bald auch außerhalb der DDR erkannt wurde. In der DDR bewirkte es, dass ihm in den 70er Jahren endlich die Bearbeitung des Mittelalters im Zentralen Forschungsprojekt einer Geschichte der deutschen Kunst (Seemann-Verlag, Leipzig) übertragen und seine Professur für Kulturtheorie 1976 in eine für Kunstgeschichte umgewandelt wurde. Allerdings verstrichen zwischen der argwöhnisch begutachteten Eröffnungsverteidigung des Bandes über die Periode von 1200 bis 1350 im Jahr 1981 noch acht Jahre bis zum Erscheinen.
Seiner Schilderung ist abzulesen, dass sich Friedrich Möbius mehr als mancher andere über die extreme Vergeudung von Arbeitszeit und -kraft durch Papierkrieg und nutzlose Veranstaltungen ärgerte, die jedem damaligen »staatlichen Leiter« in traurigster Erinnerung ist. Wie Viele sah er darin und in den Demokratiedefiziten und der Drangsalierung andersdenkender Künstler einen tiefen Schaden für den Sozialismus und empfand »Trauer und Wut über den zerstörerischen Umgang mit einer großen Vision« (S. 275). Dass er sich ausgerechnet das MfS als Beschwerdestelle aussuchte und die Diskussionsbereitschaft seines Führungsoffiziers nicht als Ausforschung zu überwachender Meinungen begriff, erwies sich allerdings als naive Verkennung des Systems, die allein für ihn im Nachhinein Folgen hatte. Als er 1990, mitten in der Freude, dass es in Jena wieder richtige Kunstgeschichtsstudenten gab, die er unterrichten konnte, dem Vorsitzenden der Evaluierungskommission, der jetzt ein Geleitwort zu der Autobiografie beisteuerte, freiwillig davon berichtete, dauerte es nur ganz wenige Monate, bis ihn die neuen Behörden ohne jedes weitere Gespräch entließen.
Namhafte Fachkollegen in Hamburg, dann in Karlsruhe, die längst seinen Ideenreichtum, seine Kompetenz und seine Persönlichkeit schätzten, gaben ihm, ungerührt von den haltlosen Beschuldigungen, die Möglichkeit, als Gastprofessor sein gedemütigtes Selbst-Bewusstsein wiederzugewinnen. Der etwas ausufernde Schlussteil der Autobiografie mit methodologischen Reflexionen über diese Literaturgattung und vielen Zitaten aus Veröffentlichungen anderer wie aus privaten Briefwechseln lässt erkennen, dass Friedrich Möbius, der weder aufhört zu forschen, noch sich in öffentliche Diskurse einzumischen, mit dem Historikerurteil über sich und über die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen er lebte bzw. lebt, nicht am Ende angelangt ist. Auch darin werden ihm viele Leser zustimmen.
Friedrich Möbius: Wirklichkeit - Kunst - Leben. Erinnerungen eines Kunsthistorikers. Jena, Quedlinburg: Bus...
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