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Von Dr. theol. CHRISTIAN STAPPENBECK

  • Lesedauer: 3 Min.

7. Oktober 1949: Die Proisorische Volkskammer, die sich an diesem Tag konstituiert, schlägt Grotewohl und Pieck zum Ministerpräsidenten bzw. Staatspräsidenten vor Foto: ND-Archiv

auch, daß Hoffnungen auf einen Rückzug der Besatzungsmacht und auf bessere Lebensmittelversorgung, mit der Gründung der DDR verbunden waren.l)

Handlungsspielraum bestand in den beiden ersten Punkten nicht. Die DDR-Führung War jedoch sichtbar bemüht, trotz Primats der Akkumulation einen Großteil der nicht reichlichen Ressourcen für die Verbesserung der Versorgungslage und der sozialen Befindlichkeit großer Zielgruppen einzusetzen. Davon zeugte nicht nur der Beschluß des Politbüros „zur weiteren Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung“ vom Ende Oktober. Das Gesetzgebungswerk im ersten Jahr der Volkskammer war pointiert darauf gerichtet, den Interessen von Arbeitern und von nichtprole-

tarischen Schichten zu entsprechen. Erwähnung verdienen das Landarbeiterschutzgesetz (schon im Dezember 1949), sodann aus dem Folgejahr das Gesetz der Arbeit, das Handwerksförderungsgesetz, das Jugendgesetz, das Gesetz über den Mutterschutz und die Rechte der Frau und schließlich das Gesetz über Entschuldung und Kredithilfe für Kleinund Mittelbauern.

Diese wie viele der folgenden Rechtsakte postulierten nicht nur, sondern fixierten Ansprüche und Rechte von bisher Unterprivilegierten. Wieweit damit eine zahlenmäßige Zustimmung zu dem neuen Staat wuchs, wieweit dadurch deutsch-nationale Mentalität überlagert wurde, ist nur schwer zu ermitteln (und überdies zeitlich stark schwankend). Eine These sei aber ge-

wagt: Das Ergebnis beim einzigen DDR-Plebiszit mit markantem Nein-Stimmen-Anteil, nämlich bei der Abstimmung zum Verfassungsentwurf im April 1968, kann - bei allen Abstrichen an den verkündeten 94,5 Prozent - als Anzeichen dafür gelten, daß ein Grundkonsens pro DDR (zeitweise) erreicht war.

Darum wäre es verfehlt, als unvermeidlichen Endpunkt der zweistaatlichen Geschichte seit 1949 die Wiederformierung eines gesamtdeutschen Staates gleichsam teleologisch zu behaupten. Nein, dies war anfangs nicht entschieden und hing von mehreren Variablen ab. So wenig wie es 1919 ausgemacht war, daß Rest-Österreich ein dauerhaftes Staatsvolk ausbilden würde (das war erst 1945 auf Grund klarer Interessenlage entschieden), so

wenig ist auszuschließen, daß unter Umständen einer eigensinnigen Interessenwahrnehmung und ausreichenden Prosperität das DDR-Volks-Bewußtsein dauerhaft geworden wäre. So „dick“, wie Herbert Wehner einmal meinte, ist Blut nämlich nicht.

Dem entspricht auch der Befund, kürzlich von Wilfried Loth plausibel dargelegt 2), daß die Dekomposition der deutschen Nation schon vor 1949 mit einer Fixierung auf das Pragmatische begann und im Weststaat rapide Fortschritte im Zuge der Westintegration machte, da der Antikommunismus als gesellschaftliche Basisideologie wichtiger wurde als die nationale Parole. Zum Trotz setzte die SED damals, von Moskau angestiftet, auf das Nationale, ohne durchschlagenden Erfolg. Praktisch spielte in Bonn und Ostberlin die Maxime, man müsse alle spaltungsvertiefenden Maßnahmen vermeiden, keine Rolle.

Jede Seite denunzierte zwar 1949 die andere Staatsgründung als Abspaltung vom „Mutterland“ Das war aber rein propagandistisch; ein Mutterland oder Zentrum existierte nicht. Daß die DDR-Staatsbildung eine Übergangsund keine Dauererscheinung war, liegt nicht an der fehlenden nationalen Komponente, wie ab und zu behauptet. Eher an der unerfüllten Verheißung, Westdeutschland im Lebensstandard zu „überholen“ Dieses Scheitern entbindet nicht von der Aufgabe, zu erforschen und festzuhalten, wie die DDR Kohäsionskräfte und Arrangements entwickelt hat, die stärker zusammenhielten als von Kritikern prognostiziert.

1) Vgl. Siegfried Suckut, Innenpolitische Aspekte der DDR-Gründung. In: „Provisorium für längstens ein Jahr“. Protokoll .des Kolloquiums Die Gründung der DDR (hrsg. von E. Scherstjanoi), Berlin 1993, S.84f.

2) Wilfried Loth, (Hrsg.) Die deutsche Frage in der Nachkriegszeit; Überlegungen zur ! Dekomposition der, deutschen Nation, Berlin 1994, S, 189 ff. '? besonders S. 195.

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