Die künstlichen Paradiese
Drogen sind gefährlich. Aber was im modernen Leben ist keine Droge?
Fortfahren, in den Süden, nach Italien. Auch das eine Sucht der Deutschen. Sucht hat mit Suche zu tun, nach etwas, das man verloren hat. Und mit Selbstbetrug. In Italien suchen die Deutschen seit Goethe ihre verlorene sinnliche Hitze. Einen Ort, wo man das vermeint, was man sonst nicht hat. Feierstunde fürs Gemüt, je nach Neigung und Temperament bieder oder ekstatisch. Novalis fand dieser diffusen Sehn-Sucht das romantische Sinnbild der »Blauen Blume«. - Nüchtern muss man konstatieren, dass in Berlin im Frühjahr und Herbst das Wetter häufig besser ist als in Italien. Eine Folge der Klimaveränderung? Nein, auch Folge hartnäckiger Selbstillusionierung. Man sitzt frierend im warmen Süden.
Seltsame Beobachtungen unterwegs: In Schweizer Zügen sammeln sich jugendliche Kiffer, die ungeniert ihre Joints drehen, die Schaffner geben sich gleichgültig. Immer mehr erinnert mich die Schweiz an die späte DDR: trotzige Selbsteinmauerung und Beschwörung von Idealen, an die niemand mehr glaubt. In italienischen Regionalzügen dagegen ist seit vergangenem Jahr Rauchen verboten. 7 (!) Euro Strafe laden zur Übertretung ein.
Reiselektüre: Ernst Jünger schreibt, dass die Franzosen ihn wegen seines Buches »Drogen und Rausch« geliebt haben, aber ein deutscher Zöllner ihn, als er das 1978 erschienene Buch bei ihm sah, mit einer deutsch-herrischen Geste, die aufblüht, wenn sie auf Verbotenes trifft, sofort ausgiebig kontrollierte. Als ich Walter Rheiners »Kokain«, dies grausam-schöne Dokument des Expressionismus von 1917 in einem Antiquariat bestellen wollte, verlangte man sofort Vorkasse. In uns allen steckt ein Zensor, der unzulässige Verbindungen herstellt zwischen dem, was uns tief im Verborgenen treibt, und dem, was wir uns bewusst als Thema stellen. Sicher, es gibt Verbindungen, aber umwegreich und verästelt. Wer Jack Londons »König Alkohol« liest, dieses schonungslose Selbstporträt eines Gescheiterten auf dem Niveau von Weltliteratur, oder Joseph Roths »Legende vom Heiligen Trinker«, ist sicher nicht selbst schon ein Alkoholiker. Die beiden Autoren waren es allerdings. Roth stand der Schrecken über das Ausgeliefertsein an die Droge vor Augen. Der geniale Stilist machte ein Märchen daraus: »Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod.«
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