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Werbung im Betrieb für die Gewerkschaft?
Schon viele Mitglieder von Betriebsräten, aber auch Arbeitnehmer ohne betriebsverfassungsrechtliche Funktion, sind wegen ihres Engagements für die Gewerkschaft aus dem Betrieb geflogen oder haben Abmahnungen einstecken müssen. Offen und »wegen« solchen Engagements passiert das seltener; in der Regel werden an den Haaren herbeigezogene Gründe angeführt. Wer jedoch aufpasst, dem kann der Arbeitgeber so leicht nicht beikommen.
Wichtig ist vor allem, die Rechtslage zu kennen. In einem Satz: Werbung für die Gewerkschaft ist im Betrieb erlaubt, sogar während der Arbeitszeit. Das muss natürlich näher erläutert werden, denn ohne Wenn und Aber geht in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten nichts.
Zur Verdeutlichung der Rechtslage führte ein seinerzeit spektakulärer Fall: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte mit Urteil vom 13. November 1991 (Az. 5 AZR 74/91) in letzter Instanz den Antrag eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf Streichung einer Abmahnung aus seiner Personalakte abgewiesen. Die Abmahnung hatte der Arbeitgeber ausgesprochen, weil das Betriebsratsmitglied einem für den Betriebsrat kandidierenden Arbeitnehmer während dessen Arbeitszeit eine Broschüre mit Werbetexten und Beitrittsformular der Gewerkschaft überreicht hatte.
Das BAG berief sich u. a. auch auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgesichts (BVerfG) zu Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Darin wird das Recht für jedermann und alle Berufe erklärt, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen (Koalitionen) zu bilden. Allerdings sollten Betätigungen in diesem Sinne nur in einem »Kernbereich« geschützt sein.
Das BAG zählte die Werbetätigkeit für die Gewerkschaft während der Arbeitszeit nicht dazu und erlaubte sie im Betrieb allenfalls in den Pausen.
Der Konflikt um die Abmahnung kam vor das BVerfG, das die Gelegenheit zur Klarstellung nutzte. Frühere Entscheidungen hätten zu Missverständnissen Anlass gegeben. »Zu den geschützten Tätigkeiten gehört auch die Mitgliederwerbung durch die Koalitionen selbst«, heißt es in dem Beschluss, mit dem oben genanntes BAG- Urteil aufgehoben wurde (BVerfG vom 14. November 1995, Az. 1 BvR 601/92). Sie schafften damit das Fundament für die Erfüllung ihrer in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Aufgaben.
Und weiter: »Durch die Werbung neuer Mitglieder sichern sie ihren Fortbestand. Von der Mitgliederzahl hängt ihre Verhandlungsstärke ab. Aber auch das einzelne Mitglied einer Vereinigung wird durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt, wenn es andere zum Beitritt zu gewinnen sucht. Wer sich darum bemüht, die eigene Vereinigung durch Mitgliederzuwachs zu stärken, nimmt das Grundrecht der Koalitionsfreiheit wahr...«
Im konkreten Fall sieht das BVerfG die Notwendigkeit des Abwägens zweier Grundrechte: das des Arbeitnehmers, für seine Gewerkschaft auch während der Arbeitszeit zu werben, und das des Arbeitgebers auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), das bei einer Störung des Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens verletzt würde. (Das aber war erkennbar durch Überreichen einer Broschüre während der Arbeitszeit nicht der Fall.)
Das wesentliche Kriterium für erlaubte Gewerkschaftswerbung während der Arbeitszeit ist demzufolge, ob davon eine Störung (die im Übrigen »wesentlich« sein muss!) des Arbeitsablaufs und/oder Betriebsfriedens ausgeht. Das Verteilen von Gewerkschaftszeitungen und anderen Informationsmaterials kann das in der Regel nicht bewirken, ebenso wenig das Aufhängen von Plakaten und Versammlungsterminen am Schwarzen Brett. Im Streitfalle jedoch ist der Arbeitgeber gehalten, genau zu benennen, wodurch die erhebl...
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