Und Stasi ist auch gleich Gestapo
wild entschlossen waren, die KZ-Henker, die Überfallspezialisten der Wehrmacht, die Euthanasiemörder und auch die Richter des Volksgerichtshofes oder der Sondergerichte ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Oberstaatsanwalt Streim: „Ich meine, daß wir alle uns immer bemüht haben, die Gesetze auszuschöpfen, um eine Verurteilung zu erreichen... Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und tatsächliche Gründe - zum Beispiel den Richtern der Kollegialgerichte nachzuweisen, daß sie für ein offensichtlich rechtswidriges Urteil gestimmt hatten - waren jedoch unüberwindliche Hindernisse.“ Streims entsprechende Schuldzuweisung: Die Politik und, so die Gesprächsüberschrift, „Das ganze Volk hat versagt“ Die Justiz nicht, die wollte ja. Indes: „Dem Erfolg standen zu viele Hindernisse im Weg.“ Nun ist zweifellos richtig,
daß die „Politik“ das ihre getan hat, das Thema NS- und Kriegsverbrechen bald abzuhaken. Nicht wenige von „früher“ hatten ja recht bald ihren Platz in der neuen Politik gefunden, und den an ganz beachtlichen Stellen. Andererseits gab es bereits im Dezember 1949 ein erstes Amnestiegesetz für untergetauchte Hitlerpaladine. Das ging fast Schlag auf Schlag so weiter bis hin zu den Gesetzen über die Verjährung.
Auch die Justiz, voran der Bundesgerichtshof, hat das Ihre getan, Mörder vor der Strafe zu bewahren, es gar nicht erst zu einem Prozeß kommen zu lassen. Und da wäre auch die rasche Wiedereinstellung der NS-Richter Der Vorsitzende am Landgericht Radom im besetzten Polen, Muhs, avancierte z.B. zum Oberlandesgerichtsrat am Oberlandesgericht Hamm. Am 23. Juni 1.943 hatte er den Ukrainer Bazyli
Antoniak zum Tode verurteilt. Der hatte zwei jüdische Kinder versteckt.
Ein anderes Beispiel richterlichen Selbstamnestierung: Im einzigen Prozeß gegen einen Richter des Volksgerichtshofes am 6. Dezember 1968 wurde Hans-Joachim Rehse, der an 231 Todesurteilen unter Freister mitgewirkt hatte, freigesprochen. Das Berliner Schwurgericht kam zur Feststellung, daß der Volksgerichshof „ein nur dem Gesetz unterworfenes Gericht“ war Die 5 000 Todesurteile allein dieses Gerichts wurden im nachhinein sanktioniert.
Freigesprochen wurden vom Landgericht Nürnberg-Fürth im Mai 1947 sieben einst führende Gestapo-Beamte. Sie hatten an der Deportation von 4 754 Juden aus dem Gebiet teilgenommen. Einerseits seien die Juden damals in Deutschland als Staatsfeinde behandelt worden. Ihre Ge-
fährlichkeit habe sich später „so gesteigert, daß ihre Vertreibung aus Mitteleuropa und ihre Vernichtung zur Sicherung des Staates erforderlich gewesen ist“ - sagte die Verteidigung, ohne daß auch nur ein Richter Einspruch erhob.
Schließlich ist auch die Diskussion um die immer noch ausstehende Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz, der Deserteure oder „Wehrkraftzersetzer“ nicht ohne Blick auf das Verhalten der Justiz in den vergangenen Jahren zu führen. So entschied der Bundesgerichtshof im Dezember 1952 in letzter Instanz den endgültigen Freispruch des Vorsitzenden eines Düsseldorfer Standgerichts verbunden mit der Billigung der Hinrichtung eines Polizeioffiziers, der am 16. April 1945 die Stadt kampflos an die Amerikaner übergeben wollte. Das war „Kriegsverrat“, sagte der BGH,
und dessen „Strafwürdigkeit“, sei „nicht ^avon abhängig, ob eine weitere Verteidigung sinnvoll oder sinnlos war“ (s. ND 273. April 1994)
Noch einmal Oberstaatsanwalt Alfred Streim: „Man muß das Recht durchsetzen. Man darf es nicht mindern. Das ist viel zu gefährlich. Wir sind ein Rechtsstaat, also müssen wir auch danach handeln.“ Hier aber waren die Fragesteller schon weit weg vom Thema NS-Verbrechen. Hier hatten sie den NS-Verfolger gefragt, wie er denn zu einer Amnestie für einstige IM der DDR-Staatssicherheit stehe. Streim: „Wenn ich nach den Prinzipien des Nürnberger Tribunals gehe, ist die Staatssicherheit für mich eine verbrecherische Organisation, genauso, wie die Gestapo.“ Vielleicht ist diese Geisteshaltung der Schlüssel bei der Suche nach den Ursachen des großen Versagens der deutschen Justiz in ihrer Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit?
HANS GEORGE
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