Die Keule der Eisernen

Student Martin ist als Ritter das Maskottchen von Union, er sorgt für Stimmung im Stadion

  • Nino Ketschagmadse
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit langen Schritten schreitet der Riese die Ehrentribüne entlang. »Hallo, Raudi!«, ruft ihm einer zu, und ein Polizist blickt scharf in das mit einem Netz bedeckte »Mundloch«, was aus des Ritters Warte eigentlich ein Sehschlitz ist. Ein Fan streckt der breitschultrigen Figur einen Becher Bier entgegen, die lehnt dankend, aber schweigend ab und zieht weiter mit einer baumelnden Keule in der Hand. Sprechen ist für Martin die nächsten 90 Minuten streng tabu. Als »Eisenheart« sorgt er bei den Heimspielen des 1. FC Union Berlin rund ums Spielfeld an der Alten Försterei für Stimmung. Darf auch ein wenig herumalbern und tanzen - natürlich nur, wenn es der Würde eines Rittermanns nicht zuwider läuft. Vor allem die Kinder sind begeistert, strecken ihre Hände durch die Absperrungen, bitten ihn um Autogramme, obwohl sie nicht wissen, wer sich unter dem Kostüm verbirgt. Als sich die Eisernen 2000 für dieses altertümlich anmutende Maskottchen entschieden, schüttelten viele den Kopf. Mittlerweile wird der Ritter auch von den erwachsenen Fans vollauf akzeptiert. Was den Studenten, der noch lange in diese Rolle schlüpfen will, natürlich freut. Der Pankower hat sich vor anderthalb Jahren als Ritter beworben, als er auf der Homepage des Kultvereins die Ausschreibung gelesen hatte. Voraussetzung: Mindestgröße 1,90 Meter und kinderlieb. Dass das Herz für Union schlagen sollte, war selbstverständlich. Weil kurz zuvor ein anderer Eisenheart-Darsteller aus dem Innenraum des Stadions verbannt worden war, nachdem er sich mit einem Torschützen der Eisernen zu sehr gefreut hatte, steht »alles, nur nicht über die Linie« ganz oben auf der Dienstanweisung des ruhigen Riesen. Mit zwölf war der ehemalige Leistungsschwimmer zum ersten Mal bei einem Spiel von Union und hat sich gleich in den Verein verliebt. »Vielleicht hab ich diese Liebe auch von der Mutter geerbt.« Mit ihr bespricht er die Belange des derzeit arg gebeutelten Vereins. Der Vater und der jüngere Bruder mischen sich dabei nicht ein. Auch die Freundin interessiert sich wenig für Fußball. Aber sie hat glücklicherweise nichts dagegen, wenn Martin in seiner Freizeit auch aktiv mit ein paar Kumpels diesen Sport betreibt und nicht nur Sonntage während der Heimspiele in dem mit Schaumstoff aufgepolsterten Kostüm schwitzt. Das Anziehen sei nicht annähernd so umständlich wie bei Eisenhearts Vorfahren aus dem Mittelalter, so der Wirtschaftsstudent, der sich auch für Politik interessiert und bei seinem Nebenjob als Maskottchen drunter meist »einen leichten Pullover und eine enge Trainingshose« trägt. Wichtig sei vor allem, dass kein Stück Haut zu sehen ist. »Keule ist etwas Unantastbares. Man soll denken, da ist kein Mensch dahinter.« Er würde sich gern mit anderen Maskottchen austauschen. Bei einer Veranstaltung habe er mal den Bären von Hertha flüchtig kennen gelernt, aber der war auch außerhalb des Stadions nicht sehr gesprächig. Martin, der mal jahrelang einen Schulverein trainierte, würde gern wissen, wie seine Kollegen arbeiten, welche Freiräume sie haben, wie sie den Kontakt mit dem Publikum pflegen. Vor allem, wie sie damit umgehen, wenn sie von gegnerischen Fans bespuckt, mit Bechern beworfen und unter der Gürtellinie beschimpft werden. Wenngleich es ihm als wahrem Ritter natürlich ohnedies leicht fällt, tapfer zu sein. Nach dem Schlusspfiff des letzten Heimspiels gegen den KSC blieb er noch kurz auf dem fast leeren Spielfeld. Auch dann kommen die Kinder gerannt, setzen sich auf sein Bein oder zupfen an seiner Maske, die er aber erst dann abnimmt, nachdem er im Stadiontunnel entschwunden ist. Statt Sommerpause heißt es nun noch mit vereinten Kräften die Regionalligalizenz zu retten. Um die vom DFB geforderte Liquiditätsreserve von 1,46 Millionen Euro bis zum 9. Juni zusammenzukriegen, rührt Martin eifrig die Werbetrommel für die Aktion »Bluten für Union«. Er selbst könne sich wegen eines Hautleidens leider nicht »anzapfen« lassen, so hat er wenigstens den Umsatz beim Fanartikelverkauf angekurbelt, sich privat mit neuen Devotionalien eingedeckt und schiebt bei Benefizaktionen eben manche Sonderschicht. www.bluten-fuer-union.de, Spendenkonto: Ktn. 7087080123 Volksbank Berlin, BLZ 10090000 Unsere Serie »Berliner Köpfe« ist damit beendet.

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