Aufstiege und Abgründe
Siegfried Schmidt-Joos porträtiert legendäre Popmusiker
Das rororo-Rocklexikon, das Siegfried Schmidt-Joos gemeinsam mit seinem Rundfunkkollegen Barry Graves herausbrachte, mauserte sich bald nach dem Erscheinen der 1. Auflage im Jahre 1973 zum Standardwerk der Musikverrückten. Einfach alles, was man über seine Idole wissen wollte, war hier zu finden. Besonders begehrt war das Nachschlagewerk im Osten, wo es - wie die Musik, von der es handelte - schwer zu bekommen war. Es sei denn, man steckte es sich in einem unbeobachteten Moment auf der Leipziger Buchmesse einfach in die Tasche. Das soll vorgekommen sein...
Ohne zu stibitzen gelangte Frank Böttcher in den Besitz des Buches. Im Vorwort zu Siegfried Schmidt-Joos neuem Buch berichtet er von dem glücklichen Moment, in dem er das heiß ersehnte Werk dank Westverwandtschaft endlich in den Händen hielt. Heute ist der damalige DDR-Jugendliche Chef des Lukas Verlags, der unter dem Bob Dylan entlehnten Titel »My Back Pages« eine Sammlung von Essays und Porträts aus Schmidt-Joos Feder veröffentlicht hat.
Die Texte, die hier auf knapp 600 Seiten versammelt sind, entstanden im Laufe einer langen, passionierten Journalistenkarriere und sind allesamt schon einmal in Zeitschriften oder Büchern publiziert worden. Schmidt-Joos, 1936 im thüringischen Gotha geboren, schon in der Jugend in die BRD ausgewandert und von dort aus immer wieder unterwegs ins Pop-Land Nummer eins, die USA, hat in seiner Berufslaufbahn etliche der großen Stars getroffen und interviewt. Mit einigen war er sogar befreundet - was seiner Arbeit zugute kam.
Kaum einer seiner amerikanischen Kollegen wollte ihm glauben, dass er für eine exklusive Home-Story bei der jungen Barbra Streisand eingeladen war, als die zu den begehrtesten Künstlerinnen zählte. Das 1966 im »Deutschen Panorama« erschienene Porträt ist einer von 17 meist umfangreichen, zum Teil aktualisierten Texten über namhafte Blues-Legenden, Rock-Stars und Unterhaltungskünstler, die nun im Buch noch einmal nachzulesen sind. Ray Charles, B.B. King und Sammy Davis jr. gehören ebenso zu den Porträtierten wie John Lennon, Mick Jagger und Bob Dylan, Judy Garland und Frank Sinatra. Ein Beitrag befasst sich detailliert mit Michael Jacksons Aufstieg und Fall. Als einziger stammt er nicht von Schmidt-Joos, sondern von seiner Frau Kathrin Brigl.
Auch wenn die Geheimnisse, die Schmidt-Joos in seinen teilweise schon recht alten Texten lüftet, längst keine mehr sind: Die Geschichten um Frank Sinatras Mafia-Verstrickungen, Mick Jaggers Hang zum Satanismus oder Bob Dylans fortwährende Neuerfindung der eignen Biografie lesen sich auch heute noch äußerst spannend. Nicht konsequent eingehalten ist jedoch das einleitend gemachte Versprechen, sich bei der Auswahl auf Texte zu beschränken, die sich entweder mit der Mystifikation von Stars oder mit deren Tod befassen, diesem »letzten Kick«, dem so viele Musiker schon in jungen Jahren nicht widerstehen konnten.
Die Essays, auf die das am ehesten zutrifft, sind auch die mitreißendsten. Wenn Schmidt-Joos über Gerüchte um eine FBI-Verstrickung in den tödlichen Flugzeugabsturz Buddy Hollys schreibt, über die verblüffend identischen Umstände, unter denen innerhalb kürzester Zeit gleich zwei Mitglieder der Allman Brothers bei Motorradunfällen ums Leben kamen, oder über den seltsamen Umstand, dass fast zeitgleich zum Unfalltod mehrerer Musiker von Lynyrd Skynyrd deren LP »Street Survivers« erschien, fesselt jeder Satz.
Obwohl er sie genüsslich ausbreitet: Um allzu wilden Verschwörungstheorien zuzustimmen, ist Schmidt-Joos zu sehr investigativer, seriöser Journalist - und Musikliebhaber. Kritisch stellt er fest, dass die Mystifikation von Stars oft ein Eigenleben entwickelt und schnell wichtiger wird als das Eigentliche, die Musik. Wo seine Recherchen kein Licht in die dunklen Todesursachen bringen können, dort wähnt er weder schwarze Magie noch die Verstrickung von Geheimdiensten, sondern unterstellt eine bewusste oder unbewusste Todessehnsucht der Künstler, deren Wanderung zwischen Mensch- und Gottsein auf schmalem Grad über einen tiefen Abgrund führt.
Das Buch ist voll mit sauber recherchierten Fakten, fesselnden Storys und fundierter Musikkritik. Das einzige, was man Siegfried Schmidt-Joos vorwerfen könnte ist, dass er sich selbst in den Texten zu wenig zurücknimmt. Oft schwingt mehr als ein bisschen Eitelkeit und Stolz darüber mit, dass er es war, der dies oder jenes herausgefunden und die prominentesten Prominenten persönlich kennen gelernt hat. Auf dem Schutzumschlag prangt nicht etwa das Konterfei von Judy Garland oder Liza Minelli, sondern - mit Schlapphu...
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