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Rock in der »Bakschischrepublik«
Hintersinnige Systemkritik und Mitgefühl durch »Herbst in Peking« im Juni 1989
Im Juni 1989, wenige Tage nach dem Bekanntwerden des Massakers auf dem Tiananmenplatz in Peking, dem wochenlange Betriebsbesetzungen, Streiks, Demonstrationen und Verbrüderungen der Pekinger Garnison mit den Arbeitern und Studenten vorausgegangen waren, eröffnete Joswig einen Auftritt bei der »Brandenburger Rocknacht« mit einer Schweigeminute für die Opfer auf dem Platz des Himmlischen Friedens. »Es gab Buhrufe vom "bezahlten Publikum"«, entsinnt sich Joswig, doch die Band konnte ihren Auftritt fortsetzen.
Hinter der Bühne gab es Zustimmung. Der offizielle Moderator des Abends kam auf den Sänger zu und sagte: »Ich denke genauso, aber ich kann es nicht sagen.« Georgi Gogow von der ebenfalls bei der Rocknacht engagierten Gruppe »NO 55« äußerte seine Sympathie mit einem knappen »Jungs, alles klar«. »Doch zur Aftershow-Party wollte uns niemand da haben. Wir wurden zu unseren Autos geleitet und von der Polizei nach Hause eskortiert. Am nächsten Tag dann wurde der »Tanzmusikformation H.I.P. - nach eigenen Angaben auch "Herbst in Peking"« - offiziell die Spielerlaubnis entzogen. »Weitere Auftritte sind zu verhindern« stand auf dem Telex, das ab 13.6.89 allen Kultureinrichtungen übermittelt wurde.
Das Auftrittsverbot traf die Musiker empfindlich, wurde ihnen doch die ökonomische Basis entzogen. Zwar verdiente die Truppe mehr an den erstatteten Transportkosten als an eigentlichen Honoraren, aber Joswig hatte darum gekämpft, die höchstmögliche Einstufung als Amateurband zu erhalten und damit den höchstmöglichen Gagenschlüssel. Die Einstufung fand im Knaack-Club in der Greifswalder Straße statt. »Wir hatten eine Dia-Show vorbereitet mit Fotos aus dem China der 50er Jahre.« Rainer Kwasi, der zeitweilig als Sprachrohr der Band fungierte, hatte die Aufnahmen von einer US-Kommunistin, die mit ihrem Mann, dem Gospelsänger Aubrey Pankey, von McCarthy aus den USA vertrieben und nach Aufenthalten in Frankreich und China von Stephan Heym in die DDR gelotst worden war.
Während Bauern im Reisfeld zu sehen waren, präsentierten Joswig, der Gitarrist Alexander Istschenko, der Bassist Hans Tomato, der Schlagzeuger Benno Verch und »Dr. Totenhöfer« am Keyboard ihr zwischen Punk und »Velvet Underground« oszillierendes und mit Anklängen an die russische Volksmusik versehenes Programm. Bereits 1987 gehörten ein Spottlied auf den Conducator Nicolae Ceausescu und ein instrumental, das Leo Trotzki als Begründer der Roten Armee gewidmet war, zum Repertoire. »Musikalisch war an uns nichts auszusetzen, ich war der einzige Autodidakt, die anderen alles ausgebildete Musiker«, schätzt Joswig rückblickend die Situation ein. Doch die Chinabilder, der Name, das Emblem der Band, eine subtile Verfremdung eines sowjetischen Ordens - all das muss der Kommission so suspekt erschienen sein, dass sie nur die mittlere Einstufung vergab. Der Sänger protestierte und erreichte ein zweites Einstufungskonzert. »Ich schlug denen ein Konzert im Franzclub als neuen Termin vor. Sie stimmten zu.«
Plötzlich hatten sich die Verhältnisse verkehrt. Der Musiker gab der Kommission den Termin vor. »Den Franzclub hatten wir mit Plakaten ausgestattet, die einen Lenin-Pionier mit Kalaschnikow zeigten. Wir hatten den vor einem Ehrenmal in Taschkent fotografiert.« »Herbst in Peking« zelebrierte geradezu Pathos des »Großen Bruders«. Joswig, der seit der dritten Klasse Russischunterricht hatte und »die Sprache liebt«, wie er sagt, konnte sich darauf verlassen, dass sein Publikum die Zitate verstand und auch liebte, obwohl es sie im anderen Zusammenhang, dem Russischunterricht etwa, abgelehnt hätte. Pikant zudem, dass eine wirkliche Hoffnung, Gorbatschow geheißen, damals in Moskau herrschte.
Das Publikum im Franzclub jedenfalls war aus dem Häuschen. Die Kommission sah keinen Anlass, der Band die höchste Einstufung zu verweigern. Doch, halt, der Name! »Herbst in Peking« ist der Titel eines surrealen Wüstenromans von Boris Vian. Joswig hatte ihn u.a. deshalb zum Bandnamen auserkoren, weil er ins Leere wies, weil auch schon in dem Roman weder der Herbst noch Peking eine Rolle spielen. Die Kommission gab nun zu bedenken, dass der Titel vielleicht vom Verlag geschützt sei, andererseits aber auch Vorbehalte einer ausländischen Macht (China) bestehen könnten. So wurde die Lizenz nur auf »H.I.P.« ausgestellt. Joswig holte sich später das Einverständnis des Verlags, den Titel benutzen zu können. Und der chinesische Botschaftsmitarbeiter, dem er sein Anliegen vortrug, zeigte sich sehr erfreut, dass der Name der Hauptstadt seines Heimatlandes in der Kultur des Gastlandes eine so herausragende Rolle spielen sollte.
Doch offiziell zugelassen wurde der Name »Herbst in Peking« nicht mehr. Unter dem Label »H.I.P.« machten die Musiker 1987/88 ihre bis zu 20 Konzerte monatlich. Der Terminkalender war voll. Bei den Fans galt »Herbst in Peking« als eine jener neuen Bands wie »Freygang«, »Ich-Funktion«, »Big Savod« und »Sandow«, die kompromisslos spielten und sich genauso kompromisslos gegenüber Staat und Behörden verhielten.
Zwar konnten »Herbst in Peking« bei der Gründung der Band nicht voraussehen, was im Frühjahr 1989 eben in Peking geschehen würde. Als die Ereignisse den einst als spielerische Hülle angenommenen Namen jedoch so intensiv aufgeladen hatten, stellte sich die Band der Herausforderung und gedachte öffentlich der Opfer des Massakers. Das Verbot umgingen Joswig und Co., indem sie sich einen neuen Namen gaben - »Schaum der Tage«, ebenfalls nach einem Roman von Vian. Als »Schaum der Tage«, doch mit dem ganzen »H.I.P.«-Equipment, inklusive Aufklebern und Bühnenhängern, gaben sie noch einige Konzerte. Die größte Aufmerksamkeit erregten sie, als es sie schon nicht mehr geben durfte. Als »Abfallprodukt« für ein Radiofeature schrieb Rex Joswig »Bakschischrepublik«. Der Song wurde zur Wendehymne und sieht - wie Joswig meint - auch schon den Sturz des nächsten Systems voraus.
»Wir leben in der Bakschischrepublik
Und es gibt keinen Sieg
Die Hoffnung ist ein träges Vieh
Und nährt sich an der Staatsdoktrin.
Man wird die roten Götter schleifen
Viele werden es nicht begreifen
Der Götzendiener pisst sich ein
So einfach ist es, Mensch zu sein
Wir leben in der Bakschischrepublik
Und es gibt keinen Sieg
Schwarz-Rot-Gold ist das System
Morgen wird es untergehn
Das Volk, es wird in Trance verfallen
Und eine alte Hymne lallen
Schwarz-Rot-Gold ist das System
Morgen wird es untergehn
Der Götzendiener pisst sich ein
Es könnte alles falsch gewesen sein
Zum Protagonisten der zweiten, der wiedervereinten Bakschischrepublik hat Joswig nicht werden können. Seine Radiosendung »Grenzpunkt Null« (MDR-Sputnik) fand eine zwar leidenschaftliche, aber doch nur erlesene Fangemeinde. Seine Musik ist schwermütiger und schwerblütiger geworden. Manchmal sieht man ihn auftreten, etwa im Kaffee Burger, in dem der Originalrusse Wladimir Kaminer mit jenem Retro-Russen-Dreh, auf den in der DDR der Russischleistungsschüler Joswig kam, zur gesamtdeutschen Kultfigur avancierte. In diesen Tagen kommt Rex Joswigs neue EP »German Fool« auf den Markt - vertrieben über das Internet.
Nächste Folge: Momper im Osten
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