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Tanztheater im Schlachthof

  • Lesedauer: 3 Min.

(ND). „Verarbeitung - ein tanztheatralisches Requiem“ heißt eine Inszenierung des Berliner „Theater am Ende“ und des „Do-Theater“ aus Sankt Petersburg, das heute um 21 Uhr auf dem Gelände des Alten Schlachthofs in der Thaerstraße 31 in Prenzlauer Berg Premiere hat.

Unter der Choreographie von M. O. Witt und Yevgeni Kozlov soll in den Hallen einer einst gigantischen Verarbeitungsmaschinerie von Tieren und Fleisch das Publikum von einem Tanzbild zum anderen geführt werden. Weitere Aufführungen sind am 6., 7., 12 his 14. sowie 20. und 21. Mai.

Stumm, gegeneinander fremd und kalt sitzt der fehlerhafte soziale Organismus Familie in der aufgeräumten, schrecklich sauberen Stube um den Tisch herum und löffelt scheppernd Suppe. Schon hier im Anfangsbild malt Gundula Weimann, Regisseurin von Kerstin Spechts „Das glühend Männla“, mit ein paar theatralischen Farben die ganze Tristesse und Dumpfheit hinterweltlerischen Daseins in Deutschland aus.

Da ist die zickige, hysterische Mutter (Marie-Louise Gutteck), die gestorben ist, als sie heiratete, die es als persönliche Beleidigung empfindet, daß sich ihr Mann umbrachte. Allen Haß, den sie der dörflichen Welt, den Männern und sich selbst entgegenzugiften vermag, transformiert sie ihrem Sohn (Eduard Burza) gegenüber in verschlingende Liebe.

Der ist schwer gezeichnet von solcher Aufopferung, steht

wie ein Soldat in den Diensten seiner Mutter, eine Maschine ihrer Liebe. „Ich bin Zyniker und ich werde Gynäkologe“, bündelt er all seinen Haß auf die usurpatorische Mutter und den Vater als Nachttischbild.

Gegen die Mutter wird er nur symbolisch opponieren. Er findet ein Stellvertreteropfer, treibt die Liebe in den tatsächlichen Mord, tötet Anke (Franziska Barnikel), die einzige, für die er mehr ist als nur die Pro-

jektionsfläche der eigenen Rache an der Welt. Einzig die Oma (Petra Weimann) scheint gelegentlich aus der Familiengruft herauszuhopsen. Das kann sie, weil sie einen entscheidenden Vorteil vor den anderen hat - sie hat eine Lebensgeschichte, eine Jugend.

Anders als bei vorherigen Inszenierungen von Gundula Weimann mit dem SFINX Theater arbeitet die Regisseurin in der „Rost Bühne“ diesmal nicht gegen den Text an. Die psychologisch durchgestilto I Iandlung läßt sie frei laufen, auf Experimente verzichtend.

Handwerklich überzeugend wird das Stück coloriert, diese und jene Bedeutung des Textes, der ohnehin eine klare Sprache spricht, ordentlich in Szene gesetzt und Spielraum für die Schauspielerinnen geschaffen. Der zu Beginn installierte Spannungsbogen bleibt bis zum Ende gespannt, der Mord an Anke und die Vertuschungszeremonie der Mutter sind folgerichtig.

Die charakterlich unterkühlten Figuren spielen heißes, konventionelles Theater, besonders Petra Weimann und Eduard Burza. Dadurch, daß das Ensemble die Spielangebote der Regisseurin konsequent nutzt, verkommen die Psychologismen ä la: „Ödipus, schnödipus, Hauptsache du hast dein Mütterli schön lieb“ nicht zu Klischees und bleiben vielschichtige Charaktere erhalten MA BIO STUMPFE

„Rost Bühne , Knesebeckstr. 29, bis 8. Mai, Fr-Mo, jeweils 20.30 Uhr

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