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Überall gut gesät

  • Lesedauer: 3 Min.
Jürgen Hurt ist seit 1975 Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Gartenfreunde und Kleingärtner.
NS: Herr Hurt, Sie äußerten sich nach der Wahl vom 29. Januar 1989 sehr zufrieden mit dem Wahlergebnis. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Bündnis zwischen Rot-Grün und Kleingärtnern?
Hurt: Wir Kleingärtner hatten aus den vorangegangenen Wahlen unsere Schlüsse gezogen. Wahlversprechen an die Adresse der Kleingärtner wurden im Laufe der Legislaturperioden nur selten eingehalten. Daher haben wir nach neuen Möglichkeiten der politischen Einflussnahme gesucht. Mit Hilfe des Otto-Suhr-Instituts der FU Berlin haben wir unser politisches Potenzial analysiert. Dabei kam heraus, dass wir mit unseren Mitgliedern - das waren zirka 150000 Wahlberechtigte auf 48000 Parzellen - ein zweistelliges Ergebnis erzielen könnten. In Anbetracht dessen haben wir Wahlbausteine entwickelt und die Politiker aller Parteien konkret daran gemessen. Die CDU-und FDP-Politiker ließen keinerlei Interesse an unseren Problemen erkennen. Mit den anderen führten wir konstruktive Gespräche.

Welche konkreten Probleme beschäftigten damals die Kleingärtner?
Wir mussten unsere Parzellen verteidigen. Berlin verfügte als Folge der Teilung über viele innerstädtische Kleingartenanlagen. Die sollten sukzessive neuen Bauprojekten weichen. Wir haben damals gefordert, dass erst nachgewiesen werden muss, dass es für das jeweilige Bauprojekt, sei es eine Straße, ein Krankenhaus, eine Schule, keine Alternative gibt. Wir haben eine frühzeitige Mitbestimmung bei der Erarbeitung von Flächennutzungsplänen gefordert.

Wie bereitete sich der Verband auf die Wahlen vor?
Wir hatten ursprünglich überlegt, als eigenständige Partei an den Wahlen teilzunehmen. Im Unterschied zu anderen Protestparteien verfügen wir über eine Klientel, die alle Bereiche des Lebens gut abdecken kann. Bei uns sind Arbeiter, Angestellte, Professoren, junge und alte Menschen. Aber dann haben wir darauf verzichtet und uns entschlossen, netzwerkartig vorzugehen. Viele unserer Mitglieder sind Rentner. Die haben Zeit. Die sind in die Bezirksverordnetenversammlungen und zu den Ortsgruppen der Parteien gegangen. Sie haben versucht, dort Einfluss zu nehmen. Bei der CDU war wie gesagt nichts zu machen. Da habe ich meine Mitglieder aufgefordert, den Politikern ihre Enttäuschung direkt mitzuteilen. Das wirkt, wenn nacheinander zehn, zwanzig Leute einem in der Fußgängerzone um Wählerstimmen werbenden Politiker sagen, dass sie ihn, obwohl sie ihn vielleicht sogar persönlich schätzen und zuletzt auch gewählt haben, wegen bestimmter politischer Vorstellungen nicht wieder wählen werden.

Haben Sie Ihren Einfluss auf das Wahlergebnis bemessen können?
Dazu hätte man Umfragen unter unseren Mitgliedern führen müssen. Das haben wir nicht getan. Die Analysten stellten aber eine Wählerwanderung von 8 bis 9 Prozent aufgrund innerstädtischer Themen fest. An erster Stelle dieser Themen standen die Kleingartenanlagen.

Haben Sie mit Rot-Grün Erfolge erzielt?
Nicht nur mit Rot-Grün. Auch im späteren CDU-Senator für Stadtentwicklung, Volker Hassemer, fanden wir einen Partner. Er hat gewissermaßen geerntet, was Rot-Grün gesät hatte. Wir haben damals durchgesetzt, dass wir frühzeitig in die Erarbeitung von Bebauungs- und Flächennutzungsplänen einbezogen werden. Es gibt seitdem einen Entwicklungsplan, der langfristig angelegt ist. Und wir konnten den Schutzzonenvertrag abschließen, der garantiert, dass erst in zehn Jahren mit einer Planungsphase begonnen werden kann. Die innerstädtischen Kleingartenanlagen, die damals bedroht waren, existieren heute alle noch.

Fragen: Tom Mustroph

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