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  • Der Terror und seine Folgen

NATO-Chef enttäuscht über Beweislage gegen bin Laden

Journalistenverband kritisiert »zurechtgestutzte Informationen«

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Für die Verwicklung Osama bin Ladens und seiner Organisation Al Qaida in die Terroranschläge in den USA liegen immer noch keine öffentlich zugänglichen Beweise vor, und das soll bis auf Weiteres auch so bleiben. Dies kündigten Beamte der USA-Regierung an.

Entgegen der Ankündigung von USA-Außenminister Colin Powell vom Freitag im TV-Sender NBC, »in naher Zukunft ein Papier, ein Dokument« vorzulegen, das bin Ladens Verbrechen »klar nachweist«, hieß es jetzt, die Beweismittel blieben geheim und lägen weiterhin unter Verschluss. Der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, sagte, ein entsprechender Bericht der Behörden sei am Freitag in Auftrag gegeben worden. Doch Präsident Bush befürchte, dass »Quellen und Methoden« durch eine Veröffentlichung gefährdet seien. Ermittler und potenzielle Kronzeugen wären einem lebensgefährlichen Risiko ausgesetzt, sagte Fleischer, und sie würden dann möglicherweise Fehlinformationen liefern. Fleischer gab zu, die USA-Regierung befinde sich damit in einem »schwierigen Balanceakt«. Die USA würden Erkenntnisse an ausländische Regierungen weiterleiten, sagte er, solange diese darüber schwiegen und sich mit ihren Bündnispartnern verständigen. »Aber das wird schwer«, kommentierte dazu das konservative und bei Kriegsvorbereitungen immer bestens informierte »Wall Street Journal«. So sei zum Beispiel der NATO-Generalsekretär George Robertson enttäuscht über die vorliegende Beweislage. Die USA hätten »versagt«, zitierte die Zeitung Robertson. Unterdessen ziehen die USA-Behörden die Informationsschraube auch gegenüber USA-Medien fester zu. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld warnte Regierungsbeamte und Vertreter von Nichtregierungsorgaisationen, »Top-secret«-Informationen an die Presse weiterzugeben. Der Sprecher des Weißen Hauses rief am Wochenende persönlich Chefredakteure der großen Massenmedien mit der »Bitte« an, nicht zu enthüllen, auf welchem Weg das Weiße Haus geheime Informationen erhält. Bush selbst stimmte am Montag in den Chor der Drohungen und Warnungen ein. Er werde weder über militärische noch innenpolitische Pläne sprechen, sagte Bush: »Wir stehen als Regierung in der Verantwortung, zum amerikanischen Volk so offen wie möglich zu sprechen, aber ohne Leben zu gefährden.« Die großen Medien versammeln sich spätestens seit dem Golfkrieg vor 11 Jahren einstimmig hinter dem Präsidenten, wenn der die »nationale Sicherheit« anmahnt. So wurde bisher kein Fall bekannt, in dem ein Fernsehsender, eine Zeitung oder Zeitschrift Protest gegen die undemokratische Informationspolitik eingelegt hätte. Unisono stehen die USA-Medien hinter der unbewiesenen Behauptung von der Täterschaft bin Ladens, und unisono wird die Notwendigkeit eines oder mehrerer Waffengänge vertreten. Im »Wall Street Journal« liest sich die Kritik dann folgendermaßen: »Dies ließ die Sorge aufkommen, dass es für die Nation schwierig sein könnte, Erfolg oder Versagen des Feldzugs zu messen.« Nicht vorauszusagen sei, »in welchem Ausmaß die Medien über den Krieg überhaupt berichten können«. Einsamer Rufer in der Wüste war bisher das »Committee of Concerned Journalists«. Bush riskiere einen Vertrauensverlust im In- und Ausland, hieß es in einer Erklärung. Ein Teil der behördlichen Informationspolitik habe »nichts mit nationaler Sicherheit zu tun«, kritisierte die Journalistenvereinigung, aber sehr viel »mit zurechtgestutzten Informationen für politische Zwecke, mit zurückgehaltenen Informationen, was die Bush-Regierung schlecht aussehen lässt, und mit Manipulationen aus diplomatischen Gründen«. Neben der rigiden Informationspolitik und dem militärischen Aufmarsch um Afghanistan im »internationalen Krieg gegen Terrorismus« wird die USA-Regierung auch im finanziellen Sektor aktiv. Die Bush-Regierung wird eigenen Angaben zufolge die Konten von 27 Einzelpersonen, Organisationen und Firmen einfrieren, denen sie Verbindungen zu islamistischen Terrorgruppen vorwirft. Diese Liste soll um annähernd 90 weitere Namen ergänzt werden. Doch die Austrocknung von »Terroristenkonten« ist nicht so einfach, wie von Bush dargestellt. Und in manchen Fällen könnte die Offenlegung auch auf die USA zurückschlagen. Denn etliche der Konten haben ihren Ursprung in Saudi-Arabien, dem schwer umworbenen Bündnispartner der USA. Und nicht zuletzt bleibt interessant zu erfahren, inwieweit und in welcher Höhe die US-Behörden die afghanischen Mujaheddin gegen sowjetische Truppen unterstützt haben. Doch Dokumente über die jahrelange Freundschaft zwischen CIA und Fundamentalisten sind mit großer Sicherheit bereits beiseite geschafft worden. Ans Tageslicht treten könnte die Bank- und Waffenbrüderschaft, wenn beide Seiten in Afghanistan militärisch aufeinander stoßen. »Blow back« lautet der kritische Fachausdruck dafür - wenn amerikanische Zivilisten von Leuten umgebracht werden, die wenige Jahre zuvor von der USA-Regierung...

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