Künstliche Hände für den einstigen Garten Eden

Dr. El-Hakim aus Rathenow träumt sehr real von einer Poliklinik in dem irakischen Ort Sedez el Hindije

  • Martina Krüger
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Der Rathenower Arzt Dr. Mahmoud El-Hakim sitzt praktisch immer auf gepackten Koffern- wenn nicht im Wortsinn, dann gedanklich. Sedez el Hindije ist ein kleiner Ort südlich von Bagdad, wo die Ärmsten ihre Bleibe haben. Hier richtet der irakische Arzt mit deutschem Pass mit Hilfe von Freunden und Sponsoren eine Poliklinik ein. In Rathenow sammelt er medizinische Geräte, Gehhilfen, Rollstühle, Krankenhausbetten, Kleidung, Spielzeug- alles, was irgendwie helfen könnte. Und er praktiziert als Chirurg am Lutherplatz 3 in der brandenburgischen Kleinstadt. Er bürdet sich ein enormes Pensum auf, aber er kann nicht anders. Die Verbundenheit mit seiner Heimat, die Freude über Saddams Sturz, die Wut auf die US-Amerikaner, die bei ihren Angriffen keineswegs mit chirurgischer Präzision vorgingen- alles spielt hier zusammen. Wenige Tage nach der offiziellen Beendigung des Krieges flog er in den Irak. In das Land, das er am 26. Oktober 1955 verlassen musste, weil er der oppositionellen Studentenbewegung angehörte und bei König Faisal auf der schwarzen Liste stand. Sein Schwager starb unter der Folter in Saddams Gefängnis, seine Schwester wurde inhaftiert, obwohl sie schwanger war. Er selbst floh mit Hilfe der internationalen Studentenorganisation in die BRD. Irgendwann, so sagten sich damals viele junge Iraker, würden sie gut ausgebildet in ihr Land zurückkehren, das dann eine fortschrittliche Demokratie sein würde. Das wird dauern. In Mainz setzte El-Hakim sein Medizinstudium fort. 1958 wurde es auch hier brenzlich, als er an der Demonstration unter dem Slogan »Verhindert den Weltbrand wegen des Öls« aktiv teilnahm. »Es ist immer und immer wieder das Öl, das dem Irak irgendwie zu schaffen macht«, lässt er die Jahrzehnte Revue passieren. Der Verfassungsschutz interessierte sich seinerzeit für ihn. Keine erfreuliche Situation, der internationale Studentenbund riet ihm, das Land zu wechseln. Die DDR bot gute Bedingungen, in Leipzig beendete er sein Studium und promovierte in Erfurt. Die Vorgänge im Irak betrachtete er damals schon mit Sorge, denn die kurze revolutionäre Phase wurde sofort durch eine Konterrevolution beendet. Beidem stand Saddam vor. »Die DDR«, so El-Hakim, »die seinerzeit gute Beziehungen zum Irak unterhielt, hat viele Fehler und Brutalitäten von Saddam toleriert.« Mahmouds jüngerer Bruder gelangte 1971 aus Saddams Folterkellern in die DDR. Es sei einem Wunder gleich gekommen. Der älteste Bruder floh mit seiner Familie nach Neuseeland. Vier Millionen Menschen haben dieses Land, das vielleicht einst der »Garten Eden« war, verlassen. Trotzdem bleiben die Familienbande erhalten. Die El-Hakims treffen sich sooft es geht in Jordanien. Viele Iraker tun dies. So wurde Jordanien so etwas, wie seine dritte Heimat. Nach dem zweiten Golfkrieg 1991 richtet El-Hakim in Jordanien sogar eine Praxis ein, um geflüchtete Iraker kostenlos zu behandeln. Saddam und die US-Amerikaner verwendeten Geschosse, deren Strahlen tödliche Blutkrankheiten auslösen. Der Arzt besucht in Deutschland einen Kursus, damit er diese Krankheiten schneller erkennen und wirksam behandeln kann. Aber auch in Rathenow warten seine Patienten. Ein Zwiespalt, der El-Hakim zu schaffen machte. Dr. Hans-Jürgen Oellrich, viele Jahre Chef der chirurgischen Klinik in Rathenow, versteht den Kollegen und vertritt ihn in seiner Praxis. Nicht alle Kollegen unterstützen das Engagement des Arztes im Irak. Manche brachten ihren Standpunkt auf den groben Nenner: Dienst ist Dienst, helfen kann man in der Freizeit. Die Kassenärztliche Vereinigung sieht sich nicht in der Lage, El-Hakim von den Notdiensten zu befreien, während er im Irak tätig ist und dabei im Grunde zum Ruhm der deutschen Ärzteschaft wirkt. Doch der sympathische kleine El-Hakim erzählt diese ärgerliche Sache freundlich, entschuldigend: Sie hätten das Leid nicht gesehen, sie könnten nichts dafür. Vor allem die Kinder trifft es immer wieder. Sie vergessen beim Spielen, dass immer wieder Bomben hochgehen können. El-Hakim erzählt von einem Jungen, der eine Hand und ein Auge verloren hatte. Er ließ eine Prothese für ihn anfertigen und als er sie beim nächsten Besuch anpassen wollte, war der Junge tot. Überfahren, weil er das Auto nicht gesehen hatte. Anderen konnte der Arzt helfen, weil Hilfsmittel und medizinische Geräte rechtzeitig eintrafen. Und er betont gern, wie selbstlos viele Rathenower mit Sach- und Geldspenden helfen, denn allein der Transport eines Containers von Rathenow nach Bagdad verschlingt große Summen. Krankenhäuser, Altenheime und Kollegen stellen ausgemusterte Geräte und Hilfsmittel zur Verfügung. Jetzt, da er in Sedez el Hindije ein Haus gefunden hat, will er die Hilfe systematisieren. An gut ausgebildeten Ärzte mangelt es nicht im Irak. Nur fehlt es am Nötigsten, um zu praktizieren. In der Poliklinik soll es neben den Praxen eine orthopädische Werkstatt und eine Apotheke geben. In der zweiten Augusthälfte macht sich Mahmoud El-Hakim wieder auf den Weg nach Irak- die Container ausladen, Mensc...

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