Lernen im Schlaf
Experimente zeigen: Nächtliche Hirnaktivität stärkt das Gedächtnis
Wer eine Prüfung erfolgreich bestehen möchte, sollte zuvor am besten eine Runde schlafen. Denn dabei wird frisch Gelerntes im Gehirn verarbeitet und gefestigt. Das jedenfalls legt eine Studie nahe, die der Schweizer Psychologe Reto Huber und seine Kollegen an der University of Wisconsin in Madison (USA) durchgeführt haben.
Zwölf Versuchspersonen mussten hierbei am Computer einen Bildschirmzeiger (Cursor) per Maus auf einen Zielpunkt hin bewegen. Zwischendurch wurde die Steuerung des Cursors jedoch leicht verändert, so dass die Probanden gezwungen waren, diesen »Defekt« unbewusst durch eine zusätzliche Mausbewegung zu kompensieren. Manchen gelang dies recht schnell, andere taten sich etwas schwerer. Aber alle steigerten ihre Leistung, wenn sie eine Nacht geschlafen hatten.
Wie die Forscher im britischen Fachblatt »Nature« (Bd. 430, S. 78) berichten, untersuchten sie daraufhin die Hirnaktivität der schlafenden Probanden und stellten fest, dass in einer etwa daumengroßen Region der rechten Hirnhälfte besonders starke, lange Wellen auftraten. Genau diese Region wird nach bisherigem Wissen bei dem durchgeführten Test beansprucht. Die langen Hirnwellen dürften sonach das am Tag Gelernte im Gehirn verankern, meint Huber und nimmt damit indirekt Stellung zu der spannenden Frage: Warum schlafen wir überhaupt?
Schon länger sind Forscher der Ansicht, dass namentlich der Traum- bzw. REM-Schlaf wichtig für die Gedächtnisbildung sei, da hierbei ein Gen aktiviert werde, das offenkundig die Vernetzung der Nervenzellen fördere. Der US-Psychiater Jerome Siegel bezweifelt diese Deutung - mit stichhaltigen Argumenten: Weder haben hirngeschädigte Menschen ohne REM-Schlaf sonderliche Gedächtnislücken, noch träumen Gedächtniskünstler länger als andere Menschen. Überdies fand er heraus, dass Tiere umso länger schlafen, je kleiner sie sind. Während der Elefant mit drei Stunden auskommt, schläft ein Menschenaffe 8 und das zierliche Opossum sogar 18 Stunden. Kleine Tiere haben einen besonders intensiven Stoffwechsel, der nachhaltig die Zellen schädigt. Um diese zu reparieren, hält Siegel den Schlaf für unabdingbar.
Aus evolutionsbiologischer Sicht wäre hingegen zu fragen, warum zur Erholung bzw. Entgiftung des Körpers nicht einfach eine Ruhepause genügt, und warum es nötig ist, im Schlaf das Bewusstsein zu verlieren. Denn in diesem Zustand schwebten etwa unsere Vorfahren in ständiger Gefahr, von wilden Tieren oder Feinden getötet zu werden. Außerdem ist unser Gehirn im Schlaf hochaktiv. Wozu?
Der Lübecker Neuroendokrinologe Jan Born suchte nach einer Antwort im Experiment. Darin konfrontierte er 66 Männer und Frauen mit aufwändigen Zahlenaufgaben, die jedoch leicht zu lösen sind, wenn man ein darin verborgenes Schema entdeckt. Nach einer kurzen Trainingsrunde wurden die Probanden in zwei Gruppen aufgeteilt. Während die einen acht Stunden einer Beschäftigung nachgingen, verbrachten die anderen dieselbe Zeit im Schlaf. Hinterher versuchten alle, die Aufgaben in Ruhe zu lösen. Dabei fanden 20 Prozent der Wachgebliebenen das hilfreiche Schema. Bei den ausgeschlafenen Testpersonen waren es dagegen 60 Prozent.
Noch weiß niemand, was im Gehirn eines schlafenden Menschen genau vorgeht. Born vermutet, dass vornehmlich in den Tiefschlafphasen - die sich während der Nacht mit den REM-Phasen abwechseln - Erinnerungsbausteine des Tages im Gedächtnis neu organisiert werden. Hierbei kann es geschehen, dass wir ein bis dahin ungelöstes Problem nach dem Aufwachen plötzlich besser durchschauen. In einem Punkt zumindest wird diese These auch durch das Experiment von Huber gestützt. Denn die für das motorische Lernen typischen langen Hirn...
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