Nicht große Politik, sondern die Hausaufgaben machen

»Berlin-Erklärung 2001« als Messlatte für Parteien im Wahlkampf aufgelegt

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
»Klartext reden« wollen Verfasser und Unterzeichner der »Berlin-Erklärung 2001«, die gestern im Dussmann-Haus in der Friedrichstraße in Mitte der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Zugleich geht es ihnen darum, eine Messlatte aufzulegen, an der politische Vorstellungen und Handlungskonzepte der Parteien und Kandidaten in der öffentlichen Diskussion gemessen werden können. Dem knappen Dutzend Autoren, darunter Stadtplaner, Verwaltungsrechtler, Soziologen und Autoren der Berlinstudie, geht es nicht darum, sich »selbst zu empfehlen, einer Partei zuzuarbeiten, auf Wählerstimmen zu zielen oder Lobbyistengruppen zu bedienen«. Vorlieben für bestimmte Parteien wurden von allen Initiatoren zurückgewiesen. »Welche Koalition das macht, ist uns völlig egal«, hieß es. Der Autorenkreis reiche »von ganz Links bis ganz Rechts«. Front gemacht wird vor allem gegen eine »in beiden Teilen der Stadt im Schatten der Mauer und des Kalten Krieges entstandene Gewöhnung der Stadtgesellschaft an obrigkeitliche Alimentation und Zuständigkeit anderer«. Die Stadt habe »von der Weltgeschichte genassauert«, nun solle sie sich als Kommune verstehen und nicht große Politik, sondern ihre Hausaufgaben machen, meinte Koordinator Winfried Hammann. Die Chancen zur Modernisierung seien in den neunziger Jahren verpasst worden, wird in dem 6-seitigen Papier beklagt. Beim Wirtschaftswachstum belege Berlin seit Jahren den oder einen der letzten Plätze. Die öffentlichen Finanzen seien chaotisch, die Stadt bleibe am Tropf des Bundes und der EU. Der ökologische Stadtumbau stocke; die Wirtschaft der Stadt sei international kaum wettbewerbsfähig. Die Arbeitslosigkeit halte sich hartnäckig bei annähernd 280000 Personen, 270000 Menschen leben von Sozialhilfe, darunter 75000 Kinder und Jugendliche. Eine solche Stadt sei meilenweit entfernt, auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereitet zu sein. Vorgeschlagen wird nun ausdrücklich als »einseitiger Vorgriff auf die fällige Fusion« der Länder Berlin und Brandenburg die umgehende Trennung von Landes- und Kommunalfunktionen. Eine neu zu schaffende Spitze habe künftig die Gesamtgemeinde Berlin zu vertreten, heißt es. Den Bezirken wird dabei mehr Eigenständigkeit nur in dem Maße zugedacht, »in dem sie auch in wirtschaftlicher Hinsicht Verantwortung übernehmen«. Ein weiter Schwerpunkt der Erklärung ist ein Plädoyer für Privatisierungen. Berlin sei deshalb bankrott, weil die politischen Strukturen gezieltes Handeln bisher weder erforderlich machten noch zuließen. Die »vierzigjährige Gewöhnung, subventioniert zu werden«, habe in beiden Teilen Berlins zu Leistungsformen geführt, die nicht Bedarf decken, sondern Selbstzweck geworden seien. Dies seien »Domänen der Klientelwirtschaft und Selbstbedienungsläden«. Ein Teil der städtischen Betriebe - darunter Wohnungsbaugesellschaften, Bäderbetriebe, BVG - müssten längst zum Konkursrichter. Von der Privatisierung auszunehmen seien Betriebe, die gesellschaftlich wichtige, aber marktwirtschaftlich nicht rentable Dienste erbringen müssen. Die Berliner Bankgesellschaft sei zu verkaufen. Den »öffentlichen Wohnungsbestand an die Nutzer zu privatisieren«, ist eine weitere Forderung. Über 400000 Haushalte in Berlin, so eine These, könnten aus dem Stand Wohneigentum bilden und durch Neubau, Instandsetzung und Modernisierung Folgeinvestitionen in Milliardenhöhe auslösen. Zum Thema Sozialpolitik schlagen die Autoren alternativ eine »soziale Politik« vor. Die Betroffenen seien zu befähigen, sich selber weiterzuhelfen. An die Verwaltungen geht der Vorwurf, sich gegenseitig zu lähmen und unfähig zu sein. Sie seien »quantitativ innerhalb von vier Jahren zu halbieren«. Investitionen in die Bildungsaufgaben hingegen müssen, fordert die Erklärung, statt reduziert verdoppelt werden. Kommunales Wissensmanagement, internationales Hochschulmarketing und Gewerbefreiheit für ausländische Absolventen gehörten dazu. Gleichzeitig seien Investitionen in Schule und Weiterbildung fällig. Bildungspolitik sei die einzige der Lage angemessene Wirtschaftspo...

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