Neue Schönhauser 13 – Volkskaffeehaus
Alfred Messeis Neorenaissance-Bau wäre eine Renaissance nur zu wünschen
Das Haus bietet derzeit wahrlich keinen erhebenden Anblick. Die verblichene gelbliche Fassade ist lange nicht gestrichen worden, ist verstaubt und an einigen Stellen abgebrökkelt. Demolierte Fensterscheiben im ersten und zweiten Stock sind notdürftig mit Pappe vernagelt, architektonische Schmuckelemente mit knallroter Farbe bestrichen. Einige Losungen zeugen noch davon, daß das auffällige Gebäude in der Neuen Schönhauser eine Zeit lang besetzt war: „Kein 4. Reich“, „Besetzt. Nazi raus“, „100 Jahre Leerstand sind genüg“, „Den Herrschenden in die stochastische Suppe spukken“
Die Jahresangabe „Erbaut 1890“ im Ziergiebel des zweiten Stocks über der Toreinfahrt ist gut zu erkennen. Der Architekt Alfred Messel hatte offenbar viele gute Ideen, als er die Baupläne für das Volkskaffeehaus in der Neuen Schönhauser Straße 13 erarbeitete.
Er konzipierte es so, daß sich auch Minderbemittelte „aus dem Volk“ bei einer Tasse Kaffee in einem ansehnlichen Gebäude im sogenannten Neorenaissance-Stil mit gutbürgerlicher, vornehmer Ausstrahlung wohlfühlen konnten. Die Toreinfahrt wurde ganz links plaziert. Rechts daneben bestimmten zwei überdimensionale Bogenfenster, hinter denen sich das Cafe befand, das Bild. Darüber wurde die Fassade mit Baikonen, Säulen und mehreren Verzierungen aufgelockert, die linke Achse besonders herausgestellt.
Das Volkskaffeehaus war eine der ersten Berliner Bauten von Alfred Messel. Als Zweiunddreißigjähriger hatte der -gebürtige Darmstädter eine freiberufliche Tätigkeit an der Technischen Hochschule und am Kunstgewerbe-Museum in Berlin angenommen. Das Haus in der Neuen Schönhauser Straße 13 dokumentierte zusammen mit einem Gebäude
in der Chausseestraße 105 seine frühe Neigung zum Neorenaissance-Stil am nachhaltigsten.
Später feierte Alfred Messel als Berliner Architekt spektakuläre Erfolge. Zwischen 1896 und 1906 entstand sein berühmtes Kaufhaus für Wertheim in der Leipziger Straße ein Modell, das die Kaufhaus-Architektur geradezu revolutionierte. Überreste eines Exemplars dieses Berliner Kaufhaus-Typs sind gar nicht weit vom Volkskaffeehaus zu besichtigen: an der Ecke Sophienstraße/ Rosenthaler Straße.
Der von Messel 1897/98 entwickelte Baublock in der Proskauer Straße 15-17/Bänschstraße 26-30/ Schreinerstraße 63-64 knüpft in seinem architektonischen Konzept an die großzügige, vornehme Gestaltung des Volkskaffeehauses in der Neuen Schönhauser an. Er wurde 1900 auf der Pariser Weltausstellung preisgekrönt.
Um die Jahrhundertwende trat Alfred Messel stärker als Architekt von Bank- und Versicherungshäusern - z.B. in der Behrenstraße 32/33 oder am Köllnischen Park 2ä/3 hervor Schließlich war er geistiger Vater eines Entwurfs für das Pergamon-Museum. Die Ausführung des Baus erlebte er jedoch nicht mehr Er starb 1909
Noch macht das Volkskaffeehaus einen abgetakelten und niederschmetternden Eindruck. Es verlangt nach Farbe, Frische und Sanierung. Die großen Bogenfenster des Cafes sind zum Teil zugemauert und die Räume zweckentfremdet worden. Doch in den Nachbarhäusern laufen die Renovierungsarbeiten bereits auf Hochtouren. Vielleicht dauert es nicht mehr lange, und auch das Volkskaffeehaus von Alfred Messel - ein Stück überliefertes historisches Berlin - erstrahlt wieder in neuem Glänze.
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