Experte für die andere DDR-Kunst

Galerist Gunar Barthel bewegt sich stets gegen den Zeitgeist/Seine Jubiläumsschau heißt »So!«

  • Matthias Busse
  • Lesedauer: 2 Min.
Vor 25 Jahren wählte eine Künstlergenossenschaft Gunar Barthel zum Leiter ihrer »Galerie Oben« im damaligen Karl-Marx-Stadt. Bald kamen auch weniger kunstsinnige Gäste. Sie beäugten argwöhnisch die Kunsthappenings und Jazzkonzerte. Dazu entsprachen die gezeigten Werke von Carlfriedrich Claus, Michael Morgner und Max Uhlig nicht den offiziellen Realismus-Vorstellungen. Und dass sich in den Ausstellungskatalogen ungenehmigte Kapitel befanden, blieb ebenfalls nicht unbemerkt. Fast wöchentlich lud der Rat der Stadt Barthel »zur Klärung eines Sachverhaltes« ein. »Die Staatssicherheit hatte auf die Galerie 120 inoffizielle Mitarbeiter angesetzt«, erzählt der Galerist, der heute auf deren ungebetene Archivierungsarbeit gut zurückgreifen kann. In den umfangreichen Akten ist unter anderem verzeichnet, welche Personen etwas zu Kunstaktionen beigetragen hatten. »Wer wüsste das heute noch?«, fragt sich der 50-Jährige. Die Charlottenburger Galerie Barthel + Tetzner Berlin, eine Kooperation mit dem heutigen Leiter der Galerie Oben, Tobias Tetzner, zeigt jetzt den Rückblick »So!«: Ausstellungsplakate, die Gerhard Altenbourg, Hartwig Ebersbach und Strawalde Anfang der 80er selbst und ohne Druckgenehmigung herstellen konnten. 1987 wollte sich der Galerist nicht neuen Einschränkungen beugen, keine Auktionen mehr durchzuführen und nur noch Künstler des Bezirks ausstellen zu dürfen. Er verließ die DDR und leitete zwei Jahre lang in Bremen die Ramberti-Galerie. Im Westen interessierte er sich weiter für Genre überschreitende Arbeiten und den erweiterten Kunstbegriff. Günther Uecker und Helge Leiberg gehörten ins Programm. Zu den Künstlern in Karl-Marx-Stadt jedoch war der Kontakt unterbrochen. Gunar Barthel versuchte trotzdem, die Avantgarde der DDR im Gespräch zu halten. Er steuerte Beiträge zu Publikationen über Kunst in der DDR bei. Das macht er noch heute. »Die Hauptarbeit ist die, die der Galeriebesucher nicht sieht«, sagt Barthel. Als er am 22. Oktober 1989 seine eigene Galerie in Westberlin eröffnete, ahnte er noch nicht, dass er bald wieder mit den Künstlern aus Karl-Marx-Stadt zusammenarbeiten konnte. Damals begann er mit der Münchner Künstlergruppe Kollektiv Herzogstraße und zeigte dann Multiples von Joseph Beuys. Nach dem Mauerfall etablierte er sich als Experte für die andere Kunst aus der DDR. Seine Künstler brachte er in den Reichstag: Der Aurora-Experimentalraum von Claus schwebt über den Köpfen der Bundestagsabgeordneten. Werke von Hermann Glöckner und Altenbourg sind ebenfalls in Regierungsbauten vertreten. Inzwischen sei das große Interesse an Kunst aus der DDR abgeebbt, meint Barthel. Es sei wieder schwieriger, auf sein Galerieprogramm aufmerksam zu machen. Seine Erklärung: »Ich vertrete eben Künstler, die immer gegen den Zeitgeist stehen.« »SO!« bis 22.9. Di.-Fr. 14-19, Sa. 11-15 Uhr (außer 17.-28.8.), Fasanenstr. 15, Charlottenburg

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