„Frohe Ostern, du Weihnachtsmann!“
Amtsgericht erlebte dramatische Momente: Ei auf dem Kopf Diepgens zerschlagen
Foto: Jose Giribas
Der gereifte Altkommunarde Dieter Kunzelmann hat sich seinen Lebenstraum erfüllt. Gestern landete, eigenhändig angebracht, ein märkisches Landei mit geballter Wucht am Kopf des Berliner Regierenden. Und das unter den hellen Augen Justitias! Mit dem zündenden Schlachtruf „Frohe Ostern, du Weihnachtsmann!“ zerschlug der 56jährige ehemalige AL-Volksvertreter im Abgeordnetenhaus das triefende Corpus delicti an Diepgens höchster Erhebung.
Der Bürgermeister war als Zeuge im Prozeß gegen Kunzelmann geladen. Die Missetat liegt über zwei Jahre zurück. Am 11. Oktober 1993 hatte der APO-Revolutionär unter scharfen Beschimpfungen mit einem ähnlichen Wurfgerät den Dienst-Mercedes des Landesvaters attackiert, als dieser zu einem festlichen Akt am Potsdamer Platz schreiten wollte. Die Edelkarosse erhielt einige schlimme Dellen und der „Aktionspolitologe“, so der selbstverliehene Ehrentitel, eine Klage wegen Sachbeschädigung und Widerstands.
Doch es dauerte zwei Jahre, bis der Prozeß zustande kam. Erst wollte der Bürgermeister nicht, dann wurde er vom Gericht dazu verdonnert. Nun endlich war es soweit, der Regierende kam.
Im Vorfeld kursierten die wildesten Gerüchte: Stand hinter dem grauenhaften Anschlag die internationale Auto-Mafia, haben Mercedes-Kon-
kurrenten den Eiermann gesponsert, um zu beweisen, wie anfällig die Hochsicherheits-Kutschen gegen Naturprodukte sind? Auch gestern wurden elementare Sicherheitmängel beim Staatsschutz offensichtlich, denn Kunzelmann war vor Prozeßbeginn beim Betreten des hohen Hauses - wie alle anderen Besucher auch scharf kontrolliert worden. Da waren bereits zwei Hühnereier sichergestellt worden. Woher kam das dritte Geschoß?
Dabei haben die Gerechten von Moabit so ihre Erfahrungen mit Eiern und Kunzelmann. Vor einem Jahr endete ein Eierwurf-Prozeß mit einem Freispruch. Damals hatte sich der Meister selbst angezeigt, einen kleinen Ballermann auf den brandenburgischen Ministerpräsidenten Stolpe abgefeuert zu haben. Die Gerechtigkeit nahm ihren Lauf. Vor Gericht schwieg dann Kunzelmann. Dazu hat ein Angeklagter das Recht. Da also niemand
die Aussagen bestätigen konnte, mußten ihn die Richter freisprechen. Diesmal dürfte er nicht so davonkommen. 1400 Mark muß er blechen für sein ungebührliches Verhalten. Und dann noch die Strafe für den damaligen Eierwurf. Doch Kunzelmann ist nicht gebrochen. Als ihn die Ordnungshüter unter dem Gejohle der Mitkämpfer abführten, schwebte die Gewißheit durch den Saal, daß der revolutionäre Weltprozeß noch längst nicht am
Ende ist. PETER KIRSCHEY
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