Ein düsteres Bild retuschiert
Er zählte erst 39 Jahre, als ihn Stalin aus Georgien nach Moskau holte, um ihn an die Spitze des inzwischen mit der Organisation für Staatssicherhgeit vereinigten Volkskommissariats für Inneres (NKWD) zu stellen: Lawrentij Berija. Dieses Amt, das ihm über Nacht eine gewaltige Machtfülle in die Hand gab, behielt er über Stalins Tod hinaus - bis zu seinem Sturz am 26. Juni 1953.
Mit dem Namen Berija, der einen wichtigen, wenn nicht entscheidenden Teil des sowjetischen Machtapparates beherrschte, verbindet sich eines der tragischsten, blutigsten Kapitel in der UdSSR. Doch nicht allein deshalb sind die Memoiren seines Sohnes Sergo, ungeachtet naturgemäß in diesem publizistischen Genre stets vorhandenen subjektiven Färbung, ein wichtiges und interessantes Zeitzeugnis. „Mein Vater - Lawrentij Berija“ erschien im Moskauer Verlag Sowremenik in der Reihe „Das Jahrhundert erfassen: Kinder über die Väter“
Sergo Berija war nach der Absolvierung der Leningrader Militärakademie mit der Spezialisierung Nachrichtentechnik und Auslandsaufklärung ab 1947 führend bei der Entwicklung der sowjetischen Raketentechnik tätig, wobei er alsbald zu deren Chefkonstrukteur aufrückte. Auch war er unmittelbar an der Erarbeitung und Erprobung der ersten sowjetischen Atombombe beteiligt. Noch am Tage der Ausschaltung des Vaters wurde er zusammen mit seiner Frau und seiner Mutter in Sippenhaft genommen und nach anderthalb Jahren Haft nach Swerdlowsk verbannt, wo er als Forscher, allerdings nunmehr unter dem Namen Geretschkori, dem Geburtsnamen seiner Mutter Nina, weiterarbeiten durfte. Heute wohnt Sergo Berija, Chefkonstrukteur des Forschungsinstituts Kometa des Ministeri-
ums für Maschinenbau der Ukraine, in Kiew
Sein Anliegen sei, so der Sohn, der historischen Wahrheit Geltung zu verschaffen.das düstere Bild, das von seinem Vater bisher existiert, aufzuhellen und über ihn verbreitete „Unwahrheiten und Legenden“ (so auch über wüste Gelage und Frauenaffairen) zu widerlegen. Man wird dem Vf. zweifellos recht geben können, wenn er schreibt, daß es das politische System war, das Machtmißbrauch und Rechtlosigkeit ermöglichte und viele Millionen Menschen in Unglück und Tod stürzte. Fakt bleibt: Berija verantwortete die zahlreichen Verbrechen, die der von ihm geleitete Unterdrückungsapparat verübte. Er übernahm sein Amt in Moskau, als der bis dato mit außerordentlichen Kampagnen und Schauprozessen geführte Feldzug gegen „Volksfeinde“ zur dauerhaften und alltäglichen Herrschaftsmethode in der Stalinschen Sowjetunion wurde, wie Anton Antonow-Owsejenko - bekannt durch seine auch ins Defutsche übersetzte Stalin-Biographie - in seinem Buch über Berija (Krasnodar 1993) bemerkt. Man wird Ser-
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