Perfekte Illusionen auf der Holzplatte

Brüder lassen eine der größten digital gesteuerten Modelleisenbahnanlagen Deutschlands bauen

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Mini-Berlin: mit Bahnhöfen, Wohnhäusern, Geschäften, Parks, Straßen, vielen Gleisen und Zügen. Im Kellergewölbe einer Einkaufspassage an der Charlottenburger Meinekestraße entsteht zurzeit eine der weltgrößten digital gesteuerten Modelleisenbahnanlagen. Henrik und Stefan Göddeke erfüllen sich mit diesem aufwendigen Projekt einen Kindheitstraum. Eine Stadt beginnt zu leben. Langsam, aber mit jedem Tag ein bisschen mehr. Das Gebiet rund um die Jannowitzbrücke ist schon fertig, der Hackesche Markt nimmt Gestalt an, und auch das Ostkreuz ist zu erkennen. Ein paar Meter weiter, auf dem Bahnhof Zoo, drängeln sich viele Fahrgäste. Eine S-Bahn wartet auf ihr Signal. Auch im Zoo hat der Alltag begonnen. Die Tiere stehen in ihren Gehegen und lassen sich bestaunen. Hinter dichten Bäumen fängt der Tiergarten an. Spaziergänger sind unterwegs, auf den Wiesen wird gegrillt, und in einer Ecke trifft man sich zur Gymnastik. Ein paar Ruderboote schippern über den See, und im Gebüsch hat sich ein Drachen verfangen. Begebenheiten in einer maßstabgerechten H0 1: 87 Kulisse aus Pappmaché, Holz und Plastik. Seit Anfang des Jahres wird im Keller gewerkelt. 55 Modellbauer geben ihr Bestes. Sie zeichnen, schneiden, sägen, hämmern und kleben. »Es ist eine wunderbare Sisyphusarbeit«, sagt Werner Frieboese. Der 72-jährige Hobbybastler gehört zum Team der Göddeke-Brüder. Er hat schon an anderen Anlagen mitgebaut, aber noch nie an einer so großen, in der zudem so viele technische Details stecken. Wenn Mitte September die Anlage offiziell ihren Betrieb aufnimmt, wurden immerhin drei Tonnen Gips verarbeitet, mehr als einhundert Kilometer Kabel verlegt und 115000 Schrauben festgedreht. Damit über den 600 Quadratmeter großen Parcour zunächst täglich 400 Züge rollen, wurde eine eigene Software entwickelt. Acht Videokameras überwachen die gigantische Anlage. In der Steuerzentrale hängen viele Monitore, die jeden Winkel einsehen können: den Bereich mit den Gebäuden aus dem Ostteil der Stadt, das Gebiet rund um den Bahnhof Zoo, die langgestreckte Phantasielandschaft mit Gebirge, Kleingärten, einer Bundeswehreinheit, Supermärkten und den Teil der Anlage, auf der gerade ein Flugplatz entsteht. »Wir leiten die Flieger über eine Plexiglas-Rampe und simulieren damit den Start«, verrät Henrik Göddeke. Wenn die Maschinen in einer Nebelwolke verschwinden, ist die Illusion perfekt. Beide Brüder, die als Juristen ihr Geld verdienen, interessieren sich seit ihrer Kindheit für die »Welt der Schienen«. Ihr Berlin-Projekt entstand, nachdem Stefan vergangenes Frühjahr eine Modellanlage in Gelsenkirchen besuchte. »Unser Parcour ist phantastisch, schöner, als ich es mir vorgestellt habe«, schwärmt der 37-jährige Henrik. Schließlich bewegen sich nicht nur die unterschiedlichen Zug-Typen, sondern auch Busse, Lastwagen und Pkws. Sie wurden mit Batterien, Blinklichtern und Bremsen ausgestattet. »Dadurch wird ein ganz realistisches Fahrverhalten möglich«, erklärt Ingo Donath. Er gehört zum Elektro-Team, verkabelt die Aufbauten unter der riesigen Holzplatte und sorgt für verschiedene Licht-Momente. Er lässt beispielsweise Gaslaternen flackern, mimt Kaminbrennen in irgendeinem Wohnzimmer oder schaltet erst die Hausflurbeleuchtung ein und ein paar Sekunden später das Licht in einem Badezimmer. Zu den besonderen technischen Details gehören unter anderem Scharfschützen, die einen Stargast schützen, und ein berittener Polizist im Tiergarten. Drei Millionen Euro verschlingt die Modelleisenbahnanlage. »Alles privat finanziert durch unsere Großfamilie«, sagt Henrik Göddeke. Sein Wunsch ist es, das Projekt nach und nach auf bis zu 1000 Quadratmeter zu vergrößern. Später sollen Führungen mit Blick hinter die Kulissen angeboten werden. Die Anlage in der Meinekestraße 24, 10719 Berlin, ist ab 18. September täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Eintritt: 7,50 Euro, Kinder von neun bis 14 Jahren vier Euro, Behinderte drei.

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