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1 Prompt werden alle Klischees bedient

Selbstbildnis „Blau“ im Theater unterm Dach erzählt die Geschichte einer Schizophrenen

  • Lesedauer: 3 Min.

Connie Diem, Timo Semik, Marie-Louise Guttek (v.l.n.r.)

Foto: Marcus Lieberenz

In ihrem Wesenskern war sie Romantikerin, so daß sie Distanz hielt zu den äußeren Dingen. Fünf Jahre ist es bereits her, daß Christa Böhme, die feinsinnige Malerin und Zeichnerin, den Weg in den Freitod ging. Das geschah im März 1991, gerade hatte die Künstlerin eine Einzelausstellung in Marzahn gehabt. Nach der Gedächtnisausstellung in der Akademie der Künste 1994 zeigt jetzt die Pankower Kunstagentur Pohl Aquarelle und Zeichnungen aus dem Nachlaß

Der geschlossene, man möchte fast sagen abgeschottete Innenraum war das zentrale-Thema Christa Böhmes, erweitert um Stilleben und Aktfiguren im gleichen Zusammenhang. Um so mehr beeindrucken die seltenen von ihr gezeichneten Fensterausblicke als ein Ausloten der Grenzen, innerhalb derer sie sich sonst bewegte. Und das zeigt den distanzierten Blick aus dem geschützten Innenraum hinaus in eine Welt, mit der man sich sonst nicht gemein machen

will

„Blau', die Inszenierung von Andreas Roos nach einem Stück von Hannah Green erzählt im Theater unterm Dach die Geschichte der Deborah Blau. Mit sechzehn wird das Mädchen, Tochter reicher jüdischer Eltern, in eine Irrenanstalt eingeliefert, weil sie als schizophren gilt. Dort hat sie das zweifelhafte Glück, auf eine Ärztin zu treffen, die sie in die schnöde Wirklichkeit zurückfinden läßt.

Dabei wird mit Klischees von der Analytikerpritsche an nicht gespart, und als Zuschauer muß man schon auf dem modischen Psychotrip sein, um daran Gefallen zu finden. Die liebe Frau Doktor Fried mit der großen runden Brille wird von Connie Diem in Lehrerinnenmanier gegeben. Scheinbar aufopferungsvoll bohrt sie sich in die trügerischen Schichten des sich zerteilenden Ichs der Deborah.

Daß die Figur so voyeuristisch erscheint, wird manchmal im Text belegt. Es wird aber weder von der Regie beachtet noch findet die Diem die schauspielerischen Möglichkeiten, um einen Charakter nach verschiedenen Schichten auszuloten. Timo Semik spielt die Gegenwelt, die im Fiktionalen beheimatete Hälfte der Deborah. Er aktioniert zwar hier und dort ganz schön, darf in Bühnenpräsenz übersetzen, was zur Schizophrenie im Lehrbuch steht, doch sind sei-

ne darstellerischen Möglichkeiten ebenso beschränkt.

Marie-Louise Guttek hat eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht und ist die Ausnahme dieses Abends. Sie reißt ihre Rolle an sich und spielt die Deborah ebenso tiefsinnig wie feurig. Damit leistet sie als einzige Akteurin Gegenwehr gegen dieses eindimensionale und bornierte Stück.

Andreas Roos, der auch für die Textfassung verantwortlich

zeichnet, hat eine ordentliche, inhaltlich und ästhetisch absolut korrekte Fabel entwickelt, ein heuchlerisches Märchen über Wirklichkeit und Schizophrenie, Irrenanstalt und die Welt draußen. Er sieht kein Problem in der ganzen Psychodoktorei, glaubt felsenfest daran, daß man jemandem mit ein paar aufgelegten Händen vom Grauen an der Welt befreien könnte. Vor allem hätte sich der Patient dafür auch noch zu bedanken, womöglich

noch bei den Leuten, die ihn überhaupt erst zum Patienten gemacht haben. Wer also keine Freunde hat oder andere Probleme, der lege sich auf die Pritsche im Theater unterm Dach. Dort könnte aus dem jetzigen psychonaturalistischen Terror doch noch ein beeindruckendes, brisantes Theaterstück werden.

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