Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Neuer Weg: Hausmeister, Unternehmer

HANS-JOACHIM DÖHN war „der Erste“ im Kreis Auerbach, Bezirk Karl-Marx-Stadt

  • Lesedauer: 4 Min.

Foto: Wolfgang Schmidt

In Auerbach war die SED-Spitze nur zweimal in einheimischen Händen, am Anfang und am Ende. Der letzte Erste Kreissekretär, der 1985 ins Amt kam, war zugleich der jüngste im gesamten Bezirk Karl-Marx-Stadt. Hans-Joachim Döhn, Jahrgang 1943, gelernter Maschinenschlosser, ab 1966 in der FDJ-Kreisleitung Sekretär für Agitation, Propaganda und Sport, hatte zu diesem Zeitpunkt einen län-“geren Aufstieg hinter ^ich. Ab 1968 Zweiter, nach einem Fernstudium 1971 Erster Sekretär der FDJ-Kreisleitung, 1978 bis 1981 Parteihochschule, ab 1981 Mitarbeiter -der SED-Bezirksleitung - der-, verheiratete Vater zweier Töchter konnte auf eine nicht' unübliche Laufbahn zurückblicken.

Die Karriere des Mannes, der ideologische Phrasen vermied, war vorbei, als im Herbst 1989 Demonstranten vor die SED-Kreisleitung zogen und das Anwesen lautstark als „Faultierfarm“ titulierten. Kaum ein Jahr später nahm Döhn als Stadtverordneter im Rathaus von Auerbach an der Festveranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit teil. Als Modrow im Januar 1990 von „Deutschland einig Vaterland“ sprach, war Döhn damit einverstanden. Denn schließlich

„ist es geschichtlich eine gute Sache, wenn ein geteiltes Land wieder vereint wird“ Allerdings in einem mehrjährigen geordneten Prozeß, hatte sich Auerbachs letzter „Erster“ gedacht.

Und betrieb seine eigene Abwicklung. „Ihr müßt mich abwählen“, forderte er die Genossen auf, denn „wenn's eine neue Partei gibt, müssen wir die neuen Leuten überlassen.“ Doch vor der Kommunalwahl ließ er sich in der PDS zur Kandidatur für die Stadtverordnetenversammlung überreden. Döhn wurde vom Wahlvolk mit

glänzendem Ergebnis bedacht, aber im Rathaus zum Stein des Anstoßes vor allem der SPD, die sich über den „Vertreter der SED-Politik“ mokierte. Nach einem Jahr warf Döhn das Handtuch, da jeder Vorschlag seiner Fraktion wegen ihm abgelehnt wurde. Döhns Sicht auf die eigene Vergangenheit: Er selbst habe sich „in die Idee verrannt, aus dem, was war, das Beste zu machen.“ Das änderte aber nichts daran, daß es für den „hundertprozentig überzeugten“ Genossen nur eine Alternative gab: „Wenn ich es hätte ganz

anders machen wollen, hätte ich aufhören müssen.“

Beständig blieb bis heute „die Leistung der Bevölkerung unter widrigen Bedingungen, vor der ich schon damals den Hut gezogen habe“ Zum Beispiel die Arbeit der elf Frauen aus der Bekleidungsfabrikation im vogtländischen Oberlauterbach. Hier arbeitet Döhn als Betriebsleiter oder, wie er sagt, „mithelfender Ehegatte“ seiner Frau, der das Anfang 1994 gegründete Unternehmen gehört.

Seinem Abgang aus höherem Amt folgte die Tätigkeit als Hausmeister einer Kinderkrippe in Rodewisch. Schließlich räumte Döhn auch hier freiwillig das Feld, da ihn die Stadtverwaltung als altlastigen „Klotz am Bein“ sah, und gründete mit mehreren Bekannten eine Großhandel-GmbH. Die Selbständigkeit war sein Rettungsanker, denn „wer braucht einen ehemaligen 1. Kreissekretär als Arbeitskraft?“

Nach anderthalb Jahren stieg Döhn aus der GmbH wieder aus, „es rechnete sich nicht“ Es schlössen sich vier Monate Arbeitslosigkeit und sein neuer Job an, in dem er Lohn-Konfektion organisiert. Daß er für über fünfzigjährige Frauen Arbeitsplätze geschaffen hat und ihnen neuerdings

einen Essenszuschuß zahlt, damit sie sich einen Mittagstisch im Betrieb leisten können, erfüllt Döhn mit etwas Stolz.

Er klagt nicht, auch wenn die Ersparnisse nun im Betrieb stecken und das dritte Jahr gerade viel schwerer als erwartet wird. „Mir ist das passiert, was alle anderen auch erlebt haben“, kommentiert er rückblickend die Nach-Wende-Jahre. Schon zu DDR-Zeiten besaß Döhn weder Garten noch Haus, seit 15 Jahren lebt er in derselben Neubauwohnung. Politisch wünscht sich Hans-Joachim Döhn eine richtige Marktwirtschaft, denn das nunmehr Realexistierende sei ja nur Kapitalismus, in dem die Politiker weniger zu sagen hätten als die Banken. ?

Ist er noch Sozialist? „Ich habe mich früher als Kommunist gefühlt, und als Vision will ich den Kommunismus immer noch.“ Aber ganz anders als die Dogmatiker, denn beispielsweise der Begriff von der Arbeiterklasse habe schon in der DDR nicht mehr funktioniert. Und „wenn auch die Christen verwirklichen, was in der Bibel steht, wäre die Welt besser.“ Döhn hat in seiner Belegschaft zwei „straffe Kirchgängerinnen“ Na und - „mit ehrlichen Christen hatte ich noch nie Probleme“

MARCEL BRAUMANN

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus:
- Anzeige -
- Anzeige -