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Republik-Geburtstag und die Folgen
Während die Regierung mit Gästen feierte, kamen Demonstranten auf den Straßen in Konflikt
Die Nacht vom 6. zum 7. Oktober 1989. Aufräumarbeiten auf den Straßen der Hauptstadt. Die Hinterlassenschaften des Fackelzuges der FDJ, die am Vorabend noch ihre »Liebe und Treue zur Partei der Arbeiterklasse« bekundet hatte, wurden beseitigt. Manch einer war beklommenen Herzens mitmarschiert, manch einer von geistigen Getränken befeuert. Für wieder andere war es lediglich Spaß.
Während im Stadtzentrum Fähnchen, Überreste von Verpflegungspaketen und Flaschen weggeräumt wurden, belud auf der Brücke in der Warschauer Straße in Friedrichshain Markus Meckel einen Trabant mit Aufrufen zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei. Der bei Magdeburg lebende Pfarrer hatte sich einige Tage in Berlin versteckt gehalten. Jetzt waren jedoch die Würfel gefallen; die zweite und offizielle Gründungsversammlung der SDP sollte in Schwante abgehalten werden.
Um 12 Uhr begann das offizielle Volksfest zum 40. Jahrestag der Republik. Pünktlich um 12 Uhr hielt sich Nina Rücker dort auf, um für die Zeitschrift »Freie Welt« zu fotografieren. »Von 12 bis 13 Uhr arbeitete ich vorwiegend in der Alexanderstraße. Danach fuhr ich zum offiziellen Wachaufzug Unter den Linden. Dann fotografierte ich wieder auf dem Alexanderplatz, in der Alexanderstraße und in den Rathauspassagen«, notierte sie später. In der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg ging die Mahnwache für die Freilassung der politisch Inhaftierten nun in ihr erstes Wochenende. Waren es anfangs nur Hunderte, die zur täglichen Andacht und der nachfolgenden Informationsveranstaltung gingen, so bemaß sich die Zahl der Interessierten jetzt in Tausenden.
Während Besucher ein- und ausgingen, Journalisten kamen, arbeiteten und wieder von dannen zogen, verließen die Initiatoren der Mahnwache die Kirche kaum. »Einmal bin ich hinausgegangen«, schildert Frank Ebert. »Ich war kaum aus der Tür heraus, da stand ich schon in der Luft. Links und rechts war ich untergehakt und wurde von der Tür weggeführt.« »Herr Ebert, Ihren Ausweis bitte«, hieß es. Den hätte ich in der Kirche, sagte ich den Bullen. »Ein Mitglied des Gemeindekirchenrates bot sich als Austauschperson an, so dass ich in die Kirche gehen konnte. Ich lief erleichtert los. Als ich auf Kirchengelände war, zeigte ich meinen Ausweis. Ich hatte ihn natürlich in der Hose gehabt. Den Stasi-Leuten blieb nichts anderes übrig, als ihr Pfand wieder laufen zu lassen.«
Die nächsten Male kontrollierte Ebert erst, ob die Luft rein war, bevor er die Kirche verließ. »Ab und an sind wir zum Gemeindebüro gegangen, in dem das Kontakttelefon eingerichtet war. Manchmal auch zum Duschen in Wohnungen von Freunden. Nach Hause aber nie. Obwohl das, von heute aus betrachtet, auch nicht viel gefährlicher gewesen wäre.«
Zum Alexanderplatz kamen wie an jedem siebten Tag des Monats seit Juni 1989 Aktivisten, um gegen den Wahlbetrug vom 7. Mai zu demonstrieren. Gewöhnlich trafen sie sich an der Weltzeituhr und marschierten, auf das gellende Signal einiger Trillerpfeifen hin, zum Staatsratsgebäude. »Auf die Wahlen pfeifen«, lautete das Motto. Hatte sich sonst ein übersichtliches Häuflein um die Weltzeituhr versammelt, so vermischten sich die Demonstranten jetzt mit den Feiernden. Sprechchöre wurden laut: »Wir bleiben hier«.
»Gegen 16 Uhr bildeten sich Diskussionsgruppen an der Weltzeituhr«, beobachtete Nina Rücker. »Entsprechend meinem Auftrag fotografierte ich auch dort. Gegen 17 Uhr löste sich eine Gruppe von jungen Leuten und demonstrierte über die Rathauspassagen zum Palast der Republik. An der Brücke Marx-Engels-Forum wurde sie durch eine Polizeikette gestoppt.« Im Palast der Republik feierte derweil die Partei- und Staatsführung mit ihren internationalen Gästen - u.a. Michail Gorbatschow, Wojciech Jaruzelski und Nicolae Ceausescu - den 40. Jahrestag der DDR. Gorba-
tschow hatte tags zuvor erklärt »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.« Beim Näherkommen zum Palast rief der auf 3000 Mann angewachsene Demonstrationszug »Gorbi, hilf!« Gegen 18 Uhr wurde der Zug umgeleitet und bewegte sich in Richtung Prenzlauer Berg, hin zur Mahnwache in der Gethsemanekirche. »Vor dem Gebäude der Nachrichtenagentur ADN riefen Demonstranten »Lügner, Lügner« und »Pressefreiheit - Meinungsfreiheit«, haben Hannes Bahrmann und Christoph Links in ihrer Chronik »Wir sind das Volk« zusammengetragen.
Nina Rücker folgte dem Zug. Sie hatte später noch vor, im Friedrichshain Bilder vom Feuerwerk zu machen. Doch von einem Sog in der Menge in die Nähe des Hofeingangs Hans-Beimler-Straße/Keibelstraße in Mitte beeinflusst, geriet sie an einen Uniformierten mit Gummiknüppel. »Instinktiv wandte ich mich ab und spürte gleichzeitig einen Schlag auf den Kopf und ins Bein. Ich sackte zusammen, kam aber innerhalb von Sekunden zu mir. Ich spürte einen dröhnenden Schmerz in Kopf und Fuß.« Nina Rückers rechtes Sprunggelenk war mehrfach gebrochen. Sie wurde festgenommen, Filme und Ausrüstung beschlagnahmt.
Ihre Erlebnisse protokollierte die Tochter der TiP-Intendantin Vera Oelschlegel nach ihrer Operation in der Charité. Mit ihr wurden mehrere hundert Personen festgenommen. Dennoch bewegte sich der Zug weiter in Richtung Gethsemanekirche. Zirka 1500 Demonstranten trafen dort ein. »Gegen 21 Uhr wird die Gegend um den Bahnhof Schönhauser Allee abgeriegelt«, notierten Bahrmann und Links. »Vergitterte Lastwagen und Wasserwerfer fahren auf, Fahrzeuge, die bis dahin in der DDR unbekannt waren. Gegen Mitternacht kommt der Befehl zum Losschlagen.«
Klaus Laabs, Aktivist der Schwulenbewegung, aber nicht fest in Oppositionsgruppen aktiv, beschreibt den Polizeieinsatz folgendermaßen: »Wenigstens drei Polizisten stürzten gleichzeitig auf mich los. Sie schlugen auch noch auf mich ein, als ich bereits am Boden lag. Mehrere Schläge waren auf meinen Kopf gerichtet, die anderen trafen meine Rippen und meine rechte Hand, mit der ich versuchte, mich an einem Fußgängergeländer festzuhalten.« Laabs laborierte drei Wochen lang an einem schweren Schädel-Hirn-Trauma, zwei Platzwunden am Hinterkopf und einem perforierten Trommelfell.
Frank Ebert mischte sich auch wieder auf die Straße unter die Demonstranten. In der Menge wurde man nicht erkannt. Immer dann, als ihn doch Polizisten ergreifen wollten, war zufällig Bischof Forck in der Nähe, der Ebert als seinen Mitarbeiter ausgab. Seiner Beobachtung nach waren in diesen Oktobertagen die bekannteren Bürgerrechtler nicht in Gefahr. »Zu leiden hatten vor allem die, die der Stasi nicht bekannt waren, die keiner Gruppe angehörten, die auf sich allein gestellt waren.«
Zum Feindbild der Sicherheitsorgane gehörten jetzt größere Teile des Volkes. Auch Heinrich Fink, Direktor der Sektion Theologie der Humboldt-Universität, geriet unter das Getrommel der Gummiknüppel. Was bislang die Mehrheit der Bevölkerung nur als Behandlung von Minderheiten und Sub-Szene abtun konnte, erreichte sie nun auf direktem Wege. Das Verhältnis von Bürger und Staat hatte sich grundlegend geändert.
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Während im Stadtzentrum Fähnchen, Überreste von Verpflegungspaketen und Flaschen weggeräumt wurden, belud auf der Brücke in der Warschauer Straße in Friedrichshain Markus Meckel einen Trabant mit Aufrufen zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei. Der bei Magdeburg lebende Pfarrer hatte sich einige Tage in Berlin versteckt gehalten. Jetzt waren jedoch die Würfel gefallen; die zweite und offizielle Gründungsversammlung der SDP sollte in Schwante abgehalten werden.
Um 12 Uhr begann das offizielle Volksfest zum 40. Jahrestag der Republik. Pünktlich um 12 Uhr hielt sich Nina Rücker dort auf, um für die Zeitschrift »Freie Welt« zu fotografieren. »Von 12 bis 13 Uhr arbeitete ich vorwiegend in der Alexanderstraße. Danach fuhr ich zum offiziellen Wachaufzug Unter den Linden. Dann fotografierte ich wieder auf dem Alexanderplatz, in der Alexanderstraße und in den Rathauspassagen«, notierte sie später. In der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg ging die Mahnwache für die Freilassung der politisch Inhaftierten nun in ihr erstes Wochenende. Waren es anfangs nur Hunderte, die zur täglichen Andacht und der nachfolgenden Informationsveranstaltung gingen, so bemaß sich die Zahl der Interessierten jetzt in Tausenden.
Während Besucher ein- und ausgingen, Journalisten kamen, arbeiteten und wieder von dannen zogen, verließen die Initiatoren der Mahnwache die Kirche kaum. »Einmal bin ich hinausgegangen«, schildert Frank Ebert. »Ich war kaum aus der Tür heraus, da stand ich schon in der Luft. Links und rechts war ich untergehakt und wurde von der Tür weggeführt.« »Herr Ebert, Ihren Ausweis bitte«, hieß es. Den hätte ich in der Kirche, sagte ich den Bullen. »Ein Mitglied des Gemeindekirchenrates bot sich als Austauschperson an, so dass ich in die Kirche gehen konnte. Ich lief erleichtert los. Als ich auf Kirchengelände war, zeigte ich meinen Ausweis. Ich hatte ihn natürlich in der Hose gehabt. Den Stasi-Leuten blieb nichts anderes übrig, als ihr Pfand wieder laufen zu lassen.«
Die nächsten Male kontrollierte Ebert erst, ob die Luft rein war, bevor er die Kirche verließ. »Ab und an sind wir zum Gemeindebüro gegangen, in dem das Kontakttelefon eingerichtet war. Manchmal auch zum Duschen in Wohnungen von Freunden. Nach Hause aber nie. Obwohl das, von heute aus betrachtet, auch nicht viel gefährlicher gewesen wäre.«
Zum Alexanderplatz kamen wie an jedem siebten Tag des Monats seit Juni 1989 Aktivisten, um gegen den Wahlbetrug vom 7. Mai zu demonstrieren. Gewöhnlich trafen sie sich an der Weltzeituhr und marschierten, auf das gellende Signal einiger Trillerpfeifen hin, zum Staatsratsgebäude. »Auf die Wahlen pfeifen«, lautete das Motto. Hatte sich sonst ein übersichtliches Häuflein um die Weltzeituhr versammelt, so vermischten sich die Demonstranten jetzt mit den Feiernden. Sprechchöre wurden laut: »Wir bleiben hier«.
»Gegen 16 Uhr bildeten sich Diskussionsgruppen an der Weltzeituhr«, beobachtete Nina Rücker. »Entsprechend meinem Auftrag fotografierte ich auch dort. Gegen 17 Uhr löste sich eine Gruppe von jungen Leuten und demonstrierte über die Rathauspassagen zum Palast der Republik. An der Brücke Marx-Engels-Forum wurde sie durch eine Polizeikette gestoppt.« Im Palast der Republik feierte derweil die Partei- und Staatsführung mit ihren internationalen Gästen - u.a. Michail Gorbatschow, Wojciech Jaruzelski und Nicolae Ceausescu - den 40. Jahrestag der DDR. Gorba-
tschow hatte tags zuvor erklärt »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.« Beim Näherkommen zum Palast rief der auf 3000 Mann angewachsene Demonstrationszug »Gorbi, hilf!« Gegen 18 Uhr wurde der Zug umgeleitet und bewegte sich in Richtung Prenzlauer Berg, hin zur Mahnwache in der Gethsemanekirche. »Vor dem Gebäude der Nachrichtenagentur ADN riefen Demonstranten »Lügner, Lügner« und »Pressefreiheit - Meinungsfreiheit«, haben Hannes Bahrmann und Christoph Links in ihrer Chronik »Wir sind das Volk« zusammengetragen.
Nina Rücker folgte dem Zug. Sie hatte später noch vor, im Friedrichshain Bilder vom Feuerwerk zu machen. Doch von einem Sog in der Menge in die Nähe des Hofeingangs Hans-Beimler-Straße/Keibelstraße in Mitte beeinflusst, geriet sie an einen Uniformierten mit Gummiknüppel. »Instinktiv wandte ich mich ab und spürte gleichzeitig einen Schlag auf den Kopf und ins Bein. Ich sackte zusammen, kam aber innerhalb von Sekunden zu mir. Ich spürte einen dröhnenden Schmerz in Kopf und Fuß.« Nina Rückers rechtes Sprunggelenk war mehrfach gebrochen. Sie wurde festgenommen, Filme und Ausrüstung beschlagnahmt.
Ihre Erlebnisse protokollierte die Tochter der TiP-Intendantin Vera Oelschlegel nach ihrer Operation in der Charité. Mit ihr wurden mehrere hundert Personen festgenommen. Dennoch bewegte sich der Zug weiter in Richtung Gethsemanekirche. Zirka 1500 Demonstranten trafen dort ein. »Gegen 21 Uhr wird die Gegend um den Bahnhof Schönhauser Allee abgeriegelt«, notierten Bahrmann und Links. »Vergitterte Lastwagen und Wasserwerfer fahren auf, Fahrzeuge, die bis dahin in der DDR unbekannt waren. Gegen Mitternacht kommt der Befehl zum Losschlagen.«
Klaus Laabs, Aktivist der Schwulenbewegung, aber nicht fest in Oppositionsgruppen aktiv, beschreibt den Polizeieinsatz folgendermaßen: »Wenigstens drei Polizisten stürzten gleichzeitig auf mich los. Sie schlugen auch noch auf mich ein, als ich bereits am Boden lag. Mehrere Schläge waren auf meinen Kopf gerichtet, die anderen trafen meine Rippen und meine rechte Hand, mit der ich versuchte, mich an einem Fußgängergeländer festzuhalten.« Laabs laborierte drei Wochen lang an einem schweren Schädel-Hirn-Trauma, zwei Platzwunden am Hinterkopf und einem perforierten Trommelfell.
Frank Ebert mischte sich auch wieder auf die Straße unter die Demonstranten. In der Menge wurde man nicht erkannt. Immer dann, als ihn doch Polizisten ergreifen wollten, war zufällig Bischof Forck in der Nähe, der Ebert als seinen Mitarbeiter ausgab. Seiner Beobachtung nach waren in diesen Oktobertagen die bekannteren Bürgerrechtler nicht in Gefahr. »Zu leiden hatten vor allem die, die der Stasi nicht bekannt waren, die keiner Gruppe angehörten, die auf sich allein gestellt waren.«
Zum Feindbild der Sicherheitsorgane gehörten jetzt größere Teile des Volkes. Auch Heinrich Fink, Direktor der Sektion Theologie der Humboldt-Universität, geriet unter das Getrommel der Gummiknüppel. Was bislang die Mehrheit der Bevölkerung nur als Behandlung von Minderheiten und Sub-Szene abtun konnte, erreichte sie nun auf direktem Wege. Das Verhältnis von Bürger und Staat hatte sich grundlegend geändert.
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