Tödliche Medizin
Robert Koch und der Feldzug gegen Schlafkrankheit
Übertragen durch den schmerzhaften Stich der Tsetse-Fliege, kommt die so genannte Schlafkrankheit (Trypanosomiasis) nur im tropischen Afrika vor. Jährlich erkranken daran etwa eine halbe Million Menschen, von denen über 100000 sterben. Da die Pharmaindustrie jedoch kaum in neue Mittel gegen diese »nur« afrikanische Krankheit investiert, stammen die meisten der heute verwendeten Medikamente noch aus der Kolonialepoche.
Das historische Verdienst, seinerzeit den ersten wirkungsvollen Schlag gegen die Schlafkrankheit geführt zu haben, wird gemeinhin dem deutschen Bakteriologen und Medizin-Nobelpreisträger Robert Koch zuerkannt. Er habe durch seine planvolle Organisation sowie die Methode der Atoxyl-Behandlung einen schönen Erfolg bei der Bekämpfung der Schlafkrankheit in Afrika erzielt, schrieb 1920 das »Deutsche Kolonial-Lexikon« - und nicht wenige Wissenschaftler behaupten dies noch heute.
Was damals indes wirklich geschah, haben erst die Forschungen des Heidelberger Medizinhistorikers Wolfgang U. Eckart enthüllt. Nicht Caritas oder Hilfsbereitschaft sei das treibende Motiv der deutschen Kolonialbehörden gewesen, erklärte dieser gegenüber dem ZDF-Kulturmagazin »aspekte«, das jetzt erstmalig über jenes dunkle Kapitel der deutschen Medizingeschichte berichtet hat: »Es war Ausbeutung. Man fürchtete, dass die Schlafkrankheit in kurzer Zeit den ökonomischen Wert der Kolonien dramatisch reduzieren würde.«
Um dies zu verhindern, brach 1906 eine deutsche Expedition nach Ostafrika auf, an deren Spitze, obwohl bereits pensioniert, Koch stand. Auf den Sese-Inseln im Victoriasee schlugen die Ärzte ihr Lager auf und testeten hier die Wirkung der organischen Arsenverbindung Atoxyl an etwa 1000 Schlafkranken, denen sie das Mittel ins Lymphsystem injizierten. Denn seit der britische Militärarzt David Bruce 1895 eine Trypanosomenart als Erreger der Schlafkrankheit identifiziert hatte, hegten Ärzte die Hoffnung, diese einzelligen Lebewesen mit chemischen Mitteln abtöten zu können.
In 10 bis 15 Prozent der Fälle führte Kochs »Therapie« jedoch zum Tod der betroffenen Menschen. Viele erblindeten überdies an den Folgen der Atoxyl-Injektionen. Dass der berühmte Bakteriologe um die Fragwürdigkeit seines Tuns wusste, davon ist Eckart überzeugt: »Ähnliche Versuche hätte er in Deutschland niemals durchgeführt.« 1907 dorthin zurückgekehrt, empfahlen er und seine Kollegen den Kolonialbehörden sogar, die Schlafkranken zur Eindämmung der Infektionsgefahr in Konzentrationslagern zu isolieren. Dieser Begriff war damals schon bekannt. In »Concentration camps« hatten die Engländer im Burenkrieg (1899-1902) die Frauen und Kinder der Aufständischen interniert.
Koch habe unter dem Druck einer Epidemie gehandelt, gegen die rasch eine Therapie gefunden werden musste, erklärt dessen Biograph Christoph Gradmann. Festzuhalten bleibt dennoch, dass Kochs Vorgehen zutiefst menschenverachtend und zugleich ein Exempel war, das alsbald Nachahmer fand. So wurden auch in den deutschen Kolonien Togo und Kamerun Konzentrationslager für Schlafkranke eingerichtet, in denen katastrophale hygienische Verhältnisse herrschten und Menschen oft nur »Versuchstiere« waren.
Für Eckart sind Ähnlichkeiten zwischen den ersten deutschen Konzentrationslagern in Afrika und den KZs der Nazis mithin unübersehbar: »In beiden Konzentrationslagertypen wurden Menschen gegen ihren Willen festgehalten, wurden an Menschen gegen ihren Willen Humanexperimente durchgeführt, hatten Menschen nicht das geringste Recht, sich gegen diese Humanexperimente zu wehren oder gar das Lager zu verlassen.« Ein wirksames Heilmittel gegen die Schlafkrankheit fanden deutsche Kolonialärzte indessen nicht. Dies gelang erst 1916 der Firma Bayer mit der Entwicklung des Antiparasitikums »Germanin«, das noch heute verwendet wird.
Wolfgang U. Eckart: Medizin und Kolonialimperialismus - Deutschland 1884-1945. Schöningh Paderborn, 637 S., 19,90
Im Internet: http://www.medge...
Das historische Verdienst, seinerzeit den ersten wirkungsvollen Schlag gegen die Schlafkrankheit geführt zu haben, wird gemeinhin dem deutschen Bakteriologen und Medizin-Nobelpreisträger Robert Koch zuerkannt. Er habe durch seine planvolle Organisation sowie die Methode der Atoxyl-Behandlung einen schönen Erfolg bei der Bekämpfung der Schlafkrankheit in Afrika erzielt, schrieb 1920 das »Deutsche Kolonial-Lexikon« - und nicht wenige Wissenschaftler behaupten dies noch heute.
Was damals indes wirklich geschah, haben erst die Forschungen des Heidelberger Medizinhistorikers Wolfgang U. Eckart enthüllt. Nicht Caritas oder Hilfsbereitschaft sei das treibende Motiv der deutschen Kolonialbehörden gewesen, erklärte dieser gegenüber dem ZDF-Kulturmagazin »aspekte«, das jetzt erstmalig über jenes dunkle Kapitel der deutschen Medizingeschichte berichtet hat: »Es war Ausbeutung. Man fürchtete, dass die Schlafkrankheit in kurzer Zeit den ökonomischen Wert der Kolonien dramatisch reduzieren würde.«
Um dies zu verhindern, brach 1906 eine deutsche Expedition nach Ostafrika auf, an deren Spitze, obwohl bereits pensioniert, Koch stand. Auf den Sese-Inseln im Victoriasee schlugen die Ärzte ihr Lager auf und testeten hier die Wirkung der organischen Arsenverbindung Atoxyl an etwa 1000 Schlafkranken, denen sie das Mittel ins Lymphsystem injizierten. Denn seit der britische Militärarzt David Bruce 1895 eine Trypanosomenart als Erreger der Schlafkrankheit identifiziert hatte, hegten Ärzte die Hoffnung, diese einzelligen Lebewesen mit chemischen Mitteln abtöten zu können.
In 10 bis 15 Prozent der Fälle führte Kochs »Therapie« jedoch zum Tod der betroffenen Menschen. Viele erblindeten überdies an den Folgen der Atoxyl-Injektionen. Dass der berühmte Bakteriologe um die Fragwürdigkeit seines Tuns wusste, davon ist Eckart überzeugt: »Ähnliche Versuche hätte er in Deutschland niemals durchgeführt.« 1907 dorthin zurückgekehrt, empfahlen er und seine Kollegen den Kolonialbehörden sogar, die Schlafkranken zur Eindämmung der Infektionsgefahr in Konzentrationslagern zu isolieren. Dieser Begriff war damals schon bekannt. In »Concentration camps« hatten die Engländer im Burenkrieg (1899-1902) die Frauen und Kinder der Aufständischen interniert.
Koch habe unter dem Druck einer Epidemie gehandelt, gegen die rasch eine Therapie gefunden werden musste, erklärt dessen Biograph Christoph Gradmann. Festzuhalten bleibt dennoch, dass Kochs Vorgehen zutiefst menschenverachtend und zugleich ein Exempel war, das alsbald Nachahmer fand. So wurden auch in den deutschen Kolonien Togo und Kamerun Konzentrationslager für Schlafkranke eingerichtet, in denen katastrophale hygienische Verhältnisse herrschten und Menschen oft nur »Versuchstiere« waren.
Für Eckart sind Ähnlichkeiten zwischen den ersten deutschen Konzentrationslagern in Afrika und den KZs der Nazis mithin unübersehbar: »In beiden Konzentrationslagertypen wurden Menschen gegen ihren Willen festgehalten, wurden an Menschen gegen ihren Willen Humanexperimente durchgeführt, hatten Menschen nicht das geringste Recht, sich gegen diese Humanexperimente zu wehren oder gar das Lager zu verlassen.« Ein wirksames Heilmittel gegen die Schlafkrankheit fanden deutsche Kolonialärzte indessen nicht. Dies gelang erst 1916 der Firma Bayer mit der Entwicklung des Antiparasitikums »Germanin«, das noch heute verwendet wird.
Wolfgang U. Eckart: Medizin und Kolonialimperialismus - Deutschland 1884-1945. Schöningh Paderborn, 637 S., 19,90
Im Internet: http://www.medge...
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