Studenten auf den Kriegspfad gelockt

Universität Potsdam kooperiert mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in Strausberg

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Nicht weit von dort, wo die PDS Märkisch-Oderland regelmäßig Friedensfeste feiert, an der Prötzeler Chaussee 20 in Strausberg, betreibt das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SOWI) Kriegsforschung. Dabei helfen schon seit 2003 Studenten der Universität Potsdam. Hochschule und SOWI besiegelten jetzt diese Zusammenarbeit, indem sie am Montag einen Kooperationsvertrag unterzeichneten. Demnach werden SOWI-Fachleute in Potsdam Lehrveranstaltungen zum Thema »Militärsoziologie« bestreiten. Geplant sind darüber hinaus gemeinsame Forschungsprojekte, etwa zur Akzeptanz der Bundeswehr in der Bevölkerung. Allgemein suchen Studenten nach Praktikumsplätzen. Am SOWI werden ihre Bewerbungen jetzt bevorzugt behandelt. Dort sollen sie dann recherchieren, Fragebögen entwickeln oder Interviews führen. Soziologen, Psychologen und Politikwissenschaftler des SOWI unterrichten schon seit einiger Zeit in der Landeshauptstadt. In der Cafeteria auf dem Campus entstand die Idee, »die Militärsoziologie in Potsdam stärker zu institutionalisieren«, berichtet Professor Erhard Stölting, Prodekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Daraus ist etwas in der Bundesrepublik Einmaliges entstanden. So fest angebunden ist die Militärsoziologie ansonsten im deutschsprachigen Raum nur noch an die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich. In Frankreich und Großbritannien sieht das schon seit Jahrzehnten anders aus. In Deutschland habe die Soziologie bislang »die außerordentlich gewichtige und folgenreiche Institution Armee nur sporadisch thematisiert«, erläutert Stölting. Das zu ändern, sei es an der Zeit. Der Professor wehrt sich gegen den Verdacht, man wolle Studierende militaristisch indoktrinieren. Soziologen gehe es nicht um weltanschauliche Schulung- egal welcher Richtung-, sondern um Erforschung und Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit. »Die soziologische Beschäftigung mit dem Militär macht die Studierenden ebenso wenig zu Militaristen, wie die Verwaltungssoziologie sie zu Untertanen macht«, so Stölting. Beim Allgemeinen Studierenden-Ausschuss (AStA) wundert man sich trotzdem über das neue Fach. Man verfolge die Kooperation mit der Bundeswehr mit Sorge, bekennt AStA-Referent Arne Karrasch auf Anfrage. Ihm zufolge finanziert die Bundeswehr schon einen Lehrstuhl am Historischen Institut mit. Zudem sei im März 2002 ein NATO-nahes Forschungsinstitut eröffnet worden, welches allerdings nie wirklich zu arbeiten begann. Generell halte man es für richtig, dass ein gesellschaftlicher Komplex wie das Militär wissenschaftlich untersucht werde. Fraglich sei allerdings, wenn dies Angehörige der Bundeswehr tun. Befremden zeigt auch Gerd-Rüdiger Hoffmann, der sich in der neuen PDS-Landtagsfraktion voraussichtlich um die Wissenschaftspolitik kümmert. Hoffmann ist als Friedensaktivist bekannt und engagierte sich im Sommer gegen eine Bundeswehrausstellung in Senftenberg. Es handele sich bei den Seminaren sicher nicht um plumpe Propaganda für Auslandseinsätze oder um Werbeveranstaltungen, räumt der PDS-Politiker ein. Er fragt sich aber, warum ein seiner Meinung nach überflüssiges Fach angeboten wird, obwohl anderswo große Lücken klaffen. In der Studien- und Prüfungsordnung ist die Militärsoziologie als möglicher Schwerpunkt des Hauptstudiums vorgesehen. Pflicht ist dieses Fachgebiet allerdings nicht. Man schafft seinen Magisterabschluss auch ohne. Das SOWI wurde 1974 in München gegründet. Seine Aufgabe sollte es sein, wissenschaftliche Expertisen für das Verteidigungsministerium zu erstellen. 1995 zog das Institut um nach Strausberg, auf ein Gelände gegenüber dem ehemaligen Amtssitz des DDR-Ministers für Nationale Verteidigung. Das SOWI gehört zu den Dienststelle der Armee. Erforscht wird beispielsweise die Kampfmoral bei Auslandseinsätzen oder das Image des Heeres, letzteres im Dienste der Nachwuchsgewinnung. Direktor ist Jörn Thießen. Bevor der evangelische Theologe diesen Posten übernahm, war er persönlicher Referent und Büroleiter von Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD). Obwohl etliche der 19 Mitarbeiter einen Dienstgrad haben, wirken sie fast alle sehr zivil. Nur der Oberst im Generalstab und SOWI-Projektdirektor Hans-Jürgen Buchholz macht in seiner Uniform optisch den Eindruck eines schneidigen Offiziers. Die Leute lehren außer in Potsdam an der Freien und an der Humboldt-Universität Berlin sowie an Hochschulen in Münster, Heidelberg und Göttingen. Die Lehrveranstaltungen beschäftigen sich laut Oberst Buchholz mit Militärsoziologie im weiteren Sinne, aber auch mit Grundlagen der empirischen Sozialforschung. Ziel der Übung: Man möchte sich über die engen Ressortgrenzen hinaus mit anderen Wissenschaftlern austauschen. www.sowi-bundeswehr.de

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