Öffentliches Denken an Revolution

Eine Ausstellung am Alexanderplatz verspätete sich - aus einem Signal wurde eine Reminiszenz

Mit unserer Serie gehen wir bis zum Jahresende auf Zeitreise in den Alltag von 1989. Kleine wie große Ereignisse in der damals noch geteilten Stadt spielen eine Rolle. An die Atmosphäre im Wendejahr wollen wir erinnern und an Courage. Verschwundene Orte tauchen wieder auf. Von anderen wird erzählt, die erst 1989 entstanden. Auch Zeitzeugen kommen zu Wort. So soll sich übers Jahr ein Porträt unserer Stadt über die spannende Zeit vor 15 Jahren fügen.

Oktober 1989. Schon seit Wochen hätte der U-Bahnhof Alexanderplatz mit »Denken an Revolution« erfüllt sein sollen. So lautete der Titel des Wettbewerbs der Arbeitsgruppe Stadtbilder im Berliner Verband der bildenden Künstler (VBK). Bereits im Februar 1989 hatte die neukonstituierte Arbeitsgruppe mit offensichtlichem Gespür für Atmosphärisches dieses Thema vorgeschlagen. Im April war die »Materialausgabe« erfolgt - eine Informations- und Diskussionsveranstaltung. Referenzpunkt war die Französische Revolution, die in jenem Sommer ihren 200. Geburtstag feierte. Eine Mitarbeiterin des französischen Kulturzentrums Unter den Linden hatte über die Vorbereitungen zur Revolutionsfeier in Paris berichtet. »Selbstverständlich hatten wir nicht nur diese Revolution im Sinn«, schmunzelt die Künstlerin Karla Sachse. Sie war gemeinsam mit anderen Malerkollegen in den bis dato von Gebrauchsgrafikern dominierten Arbeitskreis eingetreten. Diese Gruppe hatte daran gewirkt, anstelle der zwar unwidersprochen wichtigen, aber doch staatskonformen Themen der vergangenen Jahre (»Frieden der Welt«, »Berlin - Stadt des Friedens« und zur 750-Jahrfeier »Kultur in Berlin«) einen öffentlichen und gleichzeitig kritischen Diskurs mit den Mitteln der Kunst anzuregen. »Revolution war uns als Prozess wichtig, nicht als abgeschlossene und abgelegte Geschichte«, erklärt Karla Sachse, die bereits in den Jahren zuvor mit frechen Aktionen im öffentlichen Raum aufgefallen war. So hatte sie 1985, ebenfalls im Rahmen der AG Stadtbilder, bei einer Bauzaunbemalung »Wohin in Berlin« Unter den Linden auch den Wedding als Ausflugsziel integriert. An der legendären Permanenten Kunstkonferenz in der Galerie Weißer Elefant im Juni 1989 hatte sie mit einer Installation teilgenommen. Das Projekt am Alexanderplatz zeichnete sich durch seine immense Öffentlichkeit aus. Zehntausende passierten täglich den U-Bahnhof. Jeder verbrachte ein paar Minuten Zeit dort, indem er auf die Bahn wartete. Die Kunstwerke verkürzten die Wartezeit. Viele ließen lieber noch ein, zwei Bahnen fahren, um sich eingehender mit den Werken zu beschäftigen. Neu war der Gestaltungsrahmen, den die Künstlergruppe sich errungen hatte. Im Vorjahr hatte sie die Zensurgewalt des Magistrats von Berlin (Ost) erfahren, der ein Werk von Robert Paris - die Fotodokumentation zur weithin umstrittenen Sprengung der Gasometer in Prenzlauer Berg - nicht zur Ausführung zuließ. Paris wurde nach Intervention der AG Stadtbilder ein »Fördervertrag« angeboten, wenn er auf die Realisierung verzichte. Später wurde sein Entwurf schließlich zugelassen, da verzichtete jedoch Paris. Auch andere Entwürfe (von Michael Augustinski, Christiane Donath, Anneliese Ernst, Gudrun Kühne, Gunnar Müller, Jürgen Nagel, Harry Pflaum, Frank Weiße und Martin Wilke) wurden zurückgewiesen, zum Teil aber trotz des Verbots ausgeführt. Die Verbote wurden - laut der Chronik von »Kunst statt Werbung« - so begründet: »Die U-Bahn ist kein Ort für Kritik /Wir wollen keine Werbung für das Christentum / Pazifismus lehnen wir ab / Freund und Feind dürfen nicht vermischt werden / die Umwandlung von Panzern in Bagger entfällt.« Die Arbeitsgruppe versuchte, sich innerhalb des VBK einen unabhängigen Status zu sichern und durch neue Arbeitsverfahren die Endzensur durch den Magistrat auszuschalten. Im April 1989 beschrieb die AG ihr Vorhaben: »Es sollen im U-Bahnhof Alexanderplatz Angebote, nicht Vorgaben gemacht werden. Das diesjährige Thema "Denken an Revolution" trägt noch dem traditionellen Jahrestagsgeschichtsverständnis Rechnung. Wenn wir dennoch dieses Jubiläum zum Anlass nehmen, öffentlich über Revolution nachzudenken, haben wir weniger ein illustriertes Geschichtsmuseum vor Augen, als vielmehr die Aktualität dieser Geschichte. 1789 und 1989 bedeuten aus dieser Perspektive nicht ein Ereignis und seine 200. Jährung, sondern einen Zeitraum, angefüllt mit einer Vielzahl von Umbrüchen, die bis in die Gegenwart Denken und Verhalten prägen. Revolution nicht als Gegenstand von Erinnerungsarbeit, sondern ständig präsente Aufgabe, nicht Rekonstruktion von Geschichte, sondern in erster Linie Produktion von Gegenwart und Zukunft.« Drei Arbeitstreffen fanden im April/Mai statt. »Wir haben uns gegenseitig unsere Ideen, erste Skizzen und Entwürfe vorgestellt. Daraus erwuchsen lebendige Diskussionen«, sagt Karla Sachse heute. Dieser Gedankenaustausch sei ganz normal gewesen. »Als Besonderheit ist mir das erst später bewusst geworden, als in den ersten Wettbewerben nach der Maueröffnung die Künstler aus Westberlin darauf bedacht waren, nicht zu viel von ihren Ideen preiszugeben - aus Angst, jemand anderes könnte sie für sich verwenden.« 54 Künstler beteiligten sich an dem Wettbewerb. Aus ungefähr 70 Vorschlägen wählte am 7. Juni nach einem Punktsystem eine aus allen einreichenden Künstler bestehende Jury 32 Arbeiten aus. Am 5. Juli wurden die Entwürfe an den Magistrat übergeben. »Schrecken ist die erste Erscheinung des Neuen«, wurde Heiner Müller auf einem Plakat zitiert. Grischa Meyer verarbeitete ein anderes Zitat des Dramatikers. Die Schriftfläche »Der Tod ist die Maske der Revolution. Die Revolution ist die Maske des Todes« zog sich über ein Profil von Stalin. Ben Hübschmann wiederum benutzte originäre Erkenntnisse der Französischen Revolution: »Nicht die ans Licht beförderten Wahrheiten führen zu Revolutionen, sondern Wahrheiten, die unterdrückt werden«, hatten die Wahlmänner des Departements Seine-et-Oise 1792 erklärt. Karla Sachse buchstabierte »Revolution«. In einen vierreihigen Setzkasten steht das Wort zuoberst in Buchstaben, darunter in Lautschrift (»er«, »e«, »vau«...) - man soll es schließlich auch aussprechen können. In den Reihen darunter Bilder vom sozialistischen Entertainment sowie zerbröckelnde Brötchen. Spätestens im September sollten die Arbeiten in der Öffentlichkeit zu sehen sein. »Doch den ganzen Sommer über tat sich nichts. Auf unsere Nachfragen wurde nicht oder nur hinhaltend reagiert«, erinnert sich Karla Sachse. Im Oktober kam es zum Eklat. Am 13. Oktober teilte Christian Hartenhauer, Stadtrat für Kultur beim Magistrat, Mitgliedern der AG mit: »Die politische Aussage in ihrer Gesamtheit ermöglicht nicht, diese Kollektion an diesem Platz zu dieser Zeit zu zeigen. Es würden Reibungsflächen entstehen, die wir im Moment nicht brauchen.« Die gesamte Arbeit war verboten! Hartenhauer schlug als Kompromiss vor, die Entwürfe in einer Galerie »für ein geübtes Publikum« zu zeigen. Die Gruppe lehnte empört ab und forderte den Stadtrat auf,, die Entscheidung zu überdenken. Am 26.10. war es dann soweit. Hartenhauer gestattete, die Entwürfe zu realisieren. Eine Fläche war herausgefallen, weil der Künstler bereits ausgereist war. In der Nacht vom 13. zum 14. Dezember 1989 brachten die Künstler die Sperrholztafeln mit ihren Arbeiten in der U-Bahn an. Der Revolutionszug war da schon abgefahren. Der Express zu Einheit und blühenden Landschaften stand unter Dampf. »Es war einfach zu spät. Die Zeit hatte uns überrollt«, sagt Karla Sachse. Was als hochaktuelles Signal konzipi...

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