Keine Rechtsgrundlage für Ansprüche der »Preußischen Treuhand«

Warum Deutsche in Osteuropa enteignet wurden oder selbst ihr Vermögen aufgaben

  • Prof. Dr. Axel Azzola
  • Lesedauer: ca. 6.5 Min.

Die »Preußische Treuhand« betreibt die zivilrechtliche Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges auf dem heutigen Territorium des polnischen Staates, was in Polen nicht nur zu Irritationen, sondern auch zu heftigen parlamentarischen Reaktionen geführt hat. Diese Aktivitäten der Erben der seinerzeit Geflüchteten und Vertriebenen haben die deutsch-polnischen Beziehungen erheblich belastet.

Vor diesem Hintergrund hat Bundeskanzler Gerhard Schröder bei seinem dem 55. Jahrestag des deutschen Angriffs auf Polen geschuldeten Besuch in Warschau öffentlich erklärt, die Bundesregierung werde, wenn nötig, auch vor internationalen Gerichten die Auffassung vertreten, dass den Deutschen keine Entschädigungsansprüche für das in den Vertreibungsgebieten zurückgelassene Vermögen zustehen. Die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen hat dies am »Tag der Heimat« scharf als »Verrat nationaler Interessen« verurteilt und damit erneut mit diesem Bund auch die nachbarschaftliche Verträglichkeit eines nicht ganz kleinen Teiles des deutschen Volkes diskreditiert. Fraglich ist, ob der polnische Staat die bei Kriegsende oder danach geflüchteten oder vertriebenen deutschen Eigentümer entschädigungslos enteignen durfte. Oder wird die europäische Nachkriegsordnung demnächst durch die Prozesse der Nachfahren der Flüchtlinge und Vertriebenen von Juristen neu gestaltet, werden Ostpreußen, Pommern und Schlesien rechtlich umgepflügt? Tatsache ist, dass Flüchtlinge nicht ohne weiteres einen von ihnen zurückgelassenen Besitz verlieren. Völkerrechtliche Verträge, die einen freiwilligen Bevölkerungstransfer regeln, enthalten regelmäßig Entschädigungsregelungen hinsichtlich des zurückgelassenen Vermögens, wie dies etwa in den Vereinbarungen des Deutschen Reiches und der UdSSR über den Transfer der deutschen Bevölkerung der Baltischen Staaten, der Bukowina, der Dobrudscha und Bessarabiens aber auch in der Vereinbarung mit Italien über den Wegzug von Deutschen aus Südtirol der Fall war. Fraglich ist allerdings, ob einer entschädigungslosen Änderung der Besitzverhältnisse von Flüchtlingen auch im Falle einer ausbleibenden Rückkehr ein rechtswirksames Verbot entgegensteht und ob bei völkerrechtlich hingenommenen Vertreibungen zurückgelassenes Vermögen zu entschädigen ist. Kriegsflüchtlinge hat es schon immer und nicht erst am Ende des Zweiten Weltkrieges gegeben. Dabei handelte es sich aus der Sicht der Betroffenen um ein zeitweiliges Verlassen ihrer Heimat in der Regel aus Anlass einer näher rückenden Front, wobei die Flucht mit der Absicht einhergeht, nach der Beendigung der Kämpfe oder einer andersartigen »Befreiung« der Heimat in diese zurückzukehren. Die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse werden hierdurch zunächst nicht berührt. Anders verhält es sich, wenn sich am Ende der Kampfhandlungen die Rückkehr in die Heimat als unmöglich oder als von den Flüchtlingen nicht mehr erwünscht darstellt, wie dies zum Beispiel massenhaft am Ende des Ersten Weltkrieges in Russland nach dem Sieg der Oktoberrevolution der Fall war, als viele bürgerliche und adelige Flüchtlinge lieber auf eine Rückkehr verzichteten als ihr weiteres Leben im sowjetischen Machtbereich zu verbringen. Nichts anderes gilt für jene Deutschen, die nach dem 23. August 1944 freiwillig Rumänien verlassen haben, als nach dem Frontwechsel Rumäniens die Besetzung dieses Landes durch sowjetische Truppen feststand. Wenn diese Flüchtlinge aus nachvollziehbaren Gründen auch dann nicht zurückkehrten, als dies mit einer zugesicherten Straffreiheit verknüpft war, gaben sie damit ihre Ansprüche auf in Rumänien zurückgelassenes Vermögen auf. Schon aus diesem Grund haben Personen, die Eigentum fluchtbedingt bei Kriegsende in den heute zu Polen gehörenden Gebieten zurückgelassen haben, keinen Anspruch auf Rückgabe oder Entschädigung durch den polnischen Staat. Nicht anders verhält es sich bei von der internationalen Völkergemeinschaft gebilligten Vertreibungen wie der der Deutschen aus heute polnischen und ungarischen sowie damals sowjetischen und tschechoslowakischen Gebieten durch die Potsdamer Konferenz. Dies gilt auch deshalb, weil es 1945 kein einen zwangsweisen Bevölkerungstransfer ausschließendes völkergewohnheitsrechtliches Verbot und kein Vertragsvölkerrecht gab, das die an der Vertreibung beteiligten Staaten an diesen Maßnahmen gehindert hätte. Die Vertreibung war nämlich keine kriegsbedingt gegen die deutsche Zivilbevölkerung gerichtete Repressionsmaßnahme, sondern teils die Folge einer völkerrechtlich akzeptierten Gebietsverschiebung und teils eine Maßnahme zur Verbesserung der innerstaatlichen Sicherheit. Bei der Gebietsverschiebung ging es zunächst um die Wiederherstellung der Curzon-Linie als Ostgrenze Polens, wofür Polen mit der Oder-Neiße-Grenze im Westen einen angemessenen Gebietsausgleich auf Kosten des Deutschen Reiches erhalten sollte. Zugleich war mit der durch die Siegerstaaten gebilligten Wiederherstellung der Curzon-Linie auch ein die Polen betreffender, nicht geringer Bevölkerungstransfer verbunden, der nach Meinung der Siegermächte die Vertreibung eines erheblichen Teils der deutschen Bevölkerung rechtfertigte. Hinzu kam die anhaltende Sorge hinsichtlich der politischen Zuverlässigkeit einer Bevölkerung, die sich nach der damals herrschenden Überzeugung durch ihre offene Sympathie für das Dritte Reich nachhaltig als illoyal und tendenziell sogar hochverräterisch eingestellt erwiesen hatte. Die Vertreibung der Deutschen erfolgte demnach auf Grund eines völkerrechtlich gültigen Vertrages, der für das Deutsche Reich deshalb verbindlich war, weil es im August 1945 als Subjekt des Völkerrechts entweder im Wege der Debellatio (völlige Vernichtung durch Krieg) untergegangen, mindestens als suspendiert anzusehen war. Rechtsfolge dieses Zustands war, dass die Alliierten auf der Grundlage einer übereinstimmenden Willensbildung das zum Völkerrechtsobjekt mutierte Deutsche Reich verpflichten oder etwa notwendige Zustimmungserklärungen des »Reiches« ersetzen konnten. Den Willen zu dieser absoluten und damit über die Regelungsgehalte einer »occupatio bellica« (militärischen Besetzung) weit hinausreichenden Dispositionsbefugnis hatten die Alliierten immer wieder - zuletzt in der »Berliner Erklärung« vom 5. Juni 1945 - unmissverständlich verdeutlicht und gerade deshalb mit der Reichsregierung nicht verhandelt, sondern diese gefangen gesetzt. Zugleich wurde das von der geflüchteten oder vertriebenen deutschen Bevölkerung zurückgelassene Vermögen mit Zustimmung der Siegermächte und damit ohne Verstoß gegen geltendes Völkerrecht als Feindvermögen zur Sicherung von oder Verrechnung mit Reparationsansprüchen der UdSSR, Polens, Ungarns und der CSR gegen das Deutsche Reich entschädigungslos konfisziert. Das wirft allerdings die Frage nach einem Anspruch auf einen innerdeutschen Lastenausgleich auf. Dieser ist in der alten Bundesrepublik auf der Grundlage des gleichnamigen Gesetzes seit 1952 erfolgt. Und die zu den Kriegsfolgen ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt nicht erkennen, dass die Betroffenen weitergehende Rechtsansprüche geltend machen könnten, zumal den Belangen der Flüchtlinge und Vertriebenen auch mit Artikel 116 Absatz 1 Grundgesetz und mit dem Bundesvertriebenengesetz angemessen Rechnung getragen wurde. Flüchtlinge und Vertriebene, die bis 1990 in der DDR lebten, erhielten freilich nach der Vereinigung nur eine eher symbolische Einmalzahlung. Das Prinzip der entschädigungslosen Vermögensaufgabe gilt gleichermaßen und unabhängig von der Frage der Staatsbürgerschaft auch für die lange nach dem Krieg mit Hilfe von »Besuchervisa« geflohenen und für die »echten« Spätaussiedler, die als »Volksdeutsche« sowohl aus Polen als auch aus Rumänien in nicht geringer Zahl auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen in die Bundesrepublik zogen. Zwar wurde in Rumänien nur im Falle des rechtswidrigen Verlassens des Landes das zurückgelassene immobile Vermögen förmlich und entschädigungslos enteignet. Aber wer Rumänien mit einer offiziellen Erlaubnis verließ, musste sein immobiles Vermögen zwangsweise dem Staat zu einem eher symbolischen Preis verkaufen. Zwischenstaatliche Vereinbarungen begünstigten auch die kollektive Aussiedlung von Juden. Wer die Genehmigung zur Ausreise erhielt, machte hiervon liebend gern Gebrauch, wohl wissend, dass diese Entscheidung mit dem Verlust des immobilen Vermögens verbunden war. Niemand rechnete seinerzeit mit der Chance einer Rückerstattung. Zugleich steht außer Zweifel, dass Vereinbarungen, wie sie von der Bundesregierung mit Polen getroffen wurden, von der polnischen Regierung nicht getroffen worden wären, wenn die deutsche Seite Entschädigungsansprüche für zurückgelassenes Vermögen geltend gemacht hätte. Deshalb wurden auch die Spätaussiedler in die bundesdeutsche Kriegsfolgengesetzgebung einbezogen. Anders verhält es sich mit solchem Vermögen, das Deutschland als Besatzungsmacht rechtswidrig, sei es zum Zwecke der »Arisierung«, sei es im Zuge einer »Bestrafung« von Personen beliebiger Staats- oder Volkszugehörigkeit zu seinen Gunsten konfiszierte und das nach dem Krieg treuhänderisch in die Obhut des polnischen Staates gelangte. Dieser vom Deutschen Reich rechtswidrig konfiszierte Besitz wäre ein Hehlergut, wenn er als Eigentum auf den polnischen Staat überginge, der als Treuhänder nach wie vor verpflichtet ist, diesen Besitz in natura herauszugeben oder in angemessener Form zu entschädigen. Insoweit kann es auch keine anderen zu einem »Lastenausgleich« verpflichteten Staaten geben. Angesichts des Zeitablaufs und der zahlreichen Fälle, in denen keine Erben ermittelt werden können, wäre es allerdings wünschenswert, in den früheren Ostblockstaaten auch an die Errichtung einer »jüdischen Nationalstiftung« zu denken, deren Aufgabe es wäre, die kulturelle Hinterlassenschaft der Juden so gut es geht zu bewahren. Eine Vermögensrückgabe oder Entschädigung käme schließlich als freiwillige staatliche Maßnahme insbesondere in den Fällen einer Rückkehr von Aussiedlern (oder deren Nachkommen) in Betracht, wobei eine Naturalrestitution in keinem Fall zu neuen Enteignungen führen dürfte. Dabei kommt es auf die Frage der seinerzeitigen oder gegenwärtigen Staatsbürgerschaft der ehemaligen Eigentümer oder deren Nachkommen nur insoweit an, als der Besitz, Wiedererwerb oder Erwerb der polnischen Staatsbürgerschaft neben der Wohnsitznahme als hinreichend sicheres Indiz fü...

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