- Politik
- ? Die Selbstinszenierung der Politiker
Alles nur Show
Begegnen wir einem Bekannten, einem Familienmitglied, dann fragen wir nach dem Wohlbefinden, danach, was in der Zeit seit unserer letzten Begegnung geschehen ist. Liefen uns Oskar Lafontaine oder Helmut Kohl oder auch Politiker kleinerer Parteien über den Weg, wer käme wohl auf die Idee, diesen oder jenen zu fragen: Wie geht es Ihnen? Was war los in letzter Zeit? Wir wissen es schließlich. Haben es in den Abendnachrichten gesehen oder in der Zeitung gelesen.
Natürlich, es ist alles in der Politik nur eine große Show, das weiß doch jeder Aber wer denkt schon den ganzen Tag daran? Selbst wenn wir uns vor den Fernseher setzen würden mit dem festen Vorsatz, uns nichts vormachen zu lassen: Hätten wir eine Chance? Ja und nein. Ja, denn es ist möglich, die Masken, die Selbstinszenierungen der Politiker als solche zu erkennen. Nein, denn wir haben
kaum eine Chance, deren wahre Gesichter, die Charaktere selbst näher kennenzulernen. Nun, auf letzteres müssen wir wohl auch künftig verzichten. Fürs erste helfen uns die beiden Psychologen Lothar Laux und Astrid Schütz ein Stück weiter.
Politik kommt nun einmal ohne Selbstinszenierung, ohne Personalisierung nicht aus. Das war immer so und ist heute, im Zeitalter der Massenmedien, unverzichtbar. Wer heute wirkungsvoll Politik gestalten möchte, so die Autoren, muß das Spiel mitspielen, selbst wenn er es kritisiert. Nun denn, so laßt uns ein gutes Publikum werden, eines, das die Spielregeln kennt und die Akteure auf dem Feld der Politik anspruchsvoll beäugt.
Im ersten Kapitel macht uns Astrid Schütz mit den Grundbegriffen der Selbstdarstellungstheorie und ihrer Anwendung in der Politik vertraut. Es geht um Eindruckssteuerung, um das absichtsvolle Erzeugen und die Vermittlung von Selbstbildern. Gerade wenn es um den Kopf geht, in Wahlkampfzeiten und
wenn der politische Skandal droht, bricht die Hohezeit der Masken an. Seien wir nachsichtig, die Leute an der Spitze haben es nicht leicht. Unter uns, wir sind doch selbst uneins. Politik ist für manchen von uns nur eine gesteigerte Form von Lumperei. Andere meinen, hier sei noch Platz für gerade, ehrliche, saubere Typen. Selbst die Sehnsucht nach dem Politiker als höherer moralischer Instanz ist im Volke lebendig. Was also sollen die Amts- und Mandatsträger denn anderes tun, als möglichst glaubwürdig und vorteilhaft die von ihnen erwarteten Rollen spielen? Schütz macht uns mit den gängigen Strategien der politischen Selbstdarstellung bekannt.
Im zweiten Kapitel entführt uns die Autorin nach Hollywood, pardon: in die Arena amerikanischer Präsidentschaftswahlkämpfe. Das mag dem einen oder anderen nacji dem Stone-Film „Nixon“ und ähnlichen Streifen so neu nicht scheinen. Aber Schütz liefert hier das Dokumentarische, das Alltägliche, das Langweilige der politischen Manipulation nach. Das Resümee, die Antwort auf die Frage: Läßt sich ein Volk auf Dauer verarschen? fällt bedrückend nüchtern aus. Auf Dauer nicht, aber immer wieder
Aus dem Nähkästlein plaudert Schütz im dritten Kapitel. Hier kann man richtig was hinzulernen. Es geht um die ver-
schiedenen möglichen Taktiken, die einem Politiker zur Verfügung stehen, wenn's eng wird. Das ist brauchbar, klar und schön beschrieben. -Daß gerade der Fall Barschel als Exempel gewählt wurde, lag sicher daran, daß er der politischen Skandalogie in Deutschland ins verlegerische Hoch verholfen hatte. Ansonsten wäre vom Material her hier mehr Aktualität sicher wünschenswert gewesen.
Im vierten Kapitel beschreibt Lothar Laux die spezielle Manipulation in der Gefühlswelt der Politik. Politiker sind immer schon auch Gefühlsarbeiter gewesen. Keine allzu guten, wie wir wissen: Wenn ich schon höre, daß da eine oder einer der rasch zu Tatorten oder Unglücksplätzen eingeflogenen Politikerinnen „betroffen“ ist, wird mir speiübel. Dasselbe Gefühl überkommt mich gelegentlich bei den sogenannten Elefantenrunden nach Wahlen. Da muß ich vielleicht noch an mir arbeiten.
Laux hat übrigens für allzu abgestumpfte Seelen ein Trainingsprogramm entwickelt, das sensibilisieren soll für politische Scheinheiligkeiten. Warum nicht.
Ron 0 Grady ist engagierter Aufklärer und Ankläger in Sachen Kinderprostitution. Als einer der Mitbegründer von ECPAT, der Kampagne zur Beendigung des Sextourismus in Asien, zieht er nach sechs Jahren eine Zwischenbilanz: »Kampf der Kinderprostitution« (Horlemann, 84 S., br., 9,80 DM).
Seit mehr als zehn Jahren forscht Ute Osterkamp über den alltäglichen Rassismus. Ihre Erkenntnisse offeriert der Argument-Sonderband »Rassismus als Selbstermächtigung«. Klaus Holzkamp hat kurz vor seinem Tod die Einleitung geschrieben (237 S„ br., 29 DM).
Politik gibt uns die Möglichkeit, zu entscheiden, welchen Gebrauch von der Macht wir machen wollen«, meint Gordon A. Craig. In zehn brillanten historischen Porträts reflektiert er das Verhältnis deutscher Schriftsteller zur Macht, u. a. von Goethe, Schiller, Heine, Hölderlin, Kleist: »Die Politik der Unpolitischen« (dtv, 247 S., br., 24,90 DM). A lbert Sobouls »Kurze Geschichte der /\Französischen Revolution«; 1965 in Frankreich erschienen, hat der Wagenbach Verlag nun in deutscher Übersetzung herausgebracht (143 S., br., 17,80).
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