mmm »Man fällt in ein tiefes Loch«
Im Arbeitslosenzentrum in Königs Wusterhausen wird von Hilfe zur Selbsthilfe nicht nur geredet Von Gabriele Oertel
An der A10, Abfahrt Königs Wusterhausen, wurde in dieser Woche ein neues Kaufcenter eingeweiht. Eines der größten, die je gebaut wurden. Mit der Errungenschaft können viele, die zum Arbeitslosenzentrum in der kleinen Stadt am Rande Berlins kommen, wenig anfangen. Sie haben andere Sorgen.
Hannelore Liebl hat Angst. Dabei soll sie anderen Mut machen. Das tut sie auch - berät am Computer über Fortbildung und Umschulung, druckt Adressen aus, setzt Widersprüche zu Kündigungen auf. Hört oft nur einfach zu. Wer ins Arbeitslosenzentrum kommt, braucht manchmal nur das. Wer wüßte das besser als die 52jährige, die heute auf einer ABM-Stelle Erwerbslosen ein kundiger Partner sein soll. Angst hat Hannelore Liebl, weil am 14. November für sie der Hammer fallt. Dann ist die ABM-Zeit vorüber - eine neue »Maßnahme« ist für sie frühestens nach einem Jahr erneuter Arbeitslosigkeit möglich.
»Man fällt in ein tiefes Loch«, sagt die einstige Pädagogin aus eigener Erfahrung. Löcher, aus denen nicht jeder wieder auftaucht. Horst Kranewitz, ihr Mitstreiter in der Beratungsstelle in Königs Wusterhausen, weiß, wovon er redet. Der
frühere Bürgermeister war als ABMler in Bonn bei der großen DGB-Kundgebung gegen den Sozialabbau dabei und ist wild entschlossen, auch am Samstag in Berlin mitzuprotestieren. »Viele, die noch Arbeit haben, fühlen sich nicht angesprochen. Betroffene aber verkriechen sich zu Hause oder trinken lieber da drüben am Kiosk einen«, deutet der 57jährige über den Schloßplatz.
Kranewitz kennt die meisten Firmen in der Region. Eine Liste weist 11 Unternehmen aus, aus denen sich in letzter Zeit verstärkt Besucher des Arbeitslosenzentrums rekrutieren. »Fest steht, sozial eingestellte Unternehmen haste heute nicht mehr, und manche Ossis unter den Chefs sind schlimmer als die Wessis«, erklärt Kranewitz mit fester Stimme. Lediglich einen einzigen Fall kennt er, wo die Chefs einer Ofenbau- und Fliesenlegerfirma sich bei ihm berieten, wie sie ihre Beschäftigten absichern können, wenn das Unternehmen ob schwebender Rückübertragungsansprüche Pleite geht. Regelrecht ärgerlich wird Kranewitz, wenn Leute übern Löffel halbiert werden und stillhalten. »Man muß sich wehren«, schimpft er und denkt an Unzählige, die nicht zur Beratung kommen.
Im August hat die Beratungsstelle 162 mündliche und 58 telefonische Ratschläge erteilt. In sechs Beschäftigungsprojekten werden zudem im Arbeitslosenzentrum von ABM-Kräften Möbel, Haushaltsgeräte, Fahrräder wieder aufgemotzt, wird Kleidung umgeschneidert für sozial Bedürftige. »Ich brauche nicht
allen zu erklären, wie schlimm die Arbeitslosigkeit ist. Das weiß vom Bürgermeister bis zum Gemeindediener jeder«, erklärt Walter Lorenz, Chef des Arbeitslosenzentrums. Bei einer Arbeitslosenquote von über zehn Prozent ist das Dilemma auch kaum zu übersehen. »Wir bieten nicht nur nützliche Beschäftigung, sondern auch Dienste, die die Kommune nicht leisten kann«. So versucht Lorenz auch, die ob leerer Kassen ausgefallene Ko-Finanzierung des Landes für Mitarbeiter des Zentrums zu erwirtschaften.
Der zweite Arbeitsmarkt muß endlich voll anerkannt und zu einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor ausgebaut werden, meint der 54jährige. Denn: »Es ist nur noch eine Phrase, wenn man davon spricht, in ABM würden die Leute für den ersten Arbeitsmarkt fitgemacht.« Den nämlich gibt es kaum noch - und geht es nach dem Willen Bonns, wird es auch den zweiten im Osten demnächst kaum noch geben. »Der Zugang Arbeitsloser zur Beschäftigung wird mit dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz weiter erschwert«, weiß Lorenz. ABM wird zur Durchlaufstation, zur sozialen Maßnahme, die nichts mehr mit Arbeitsmarktpolitik zu tun hat. »Dabei ist überhaupt nicht einzusehen, daß etwa die Finanzierung von ABM ein Übel ist, die Steuergeschenke und Förderbeihilfen an“ Unternehmer und Besitzständler aber nicht«, redet sich Lorenz heiß.
Hannelore Liebl hat die Arbeitslosigkeit »wie einen Makel« empfunden. Und das, obwohl sie einen verdienenden Mann an ihrer Seite hatte und die Tochter aus dem Haus ist. »Kein Mensch aus dem Westen versteht, daß Arbeit nicht nur Geldverdienen ist.« Seit dem 14. Lebensjahr hat sie gearbeitet, gelernt, studiert nach der Entlassung wurde sie krank, traute sich nichts mehr zu. Das ist vorbei. Hannelore Liebl hat im Zentrum wieder Mumm bekommen, der ihr nach dem blauen Brief abhanden kam. Und den will sie sich nicht wieder nehmen lassen sie wird ehrenamtlich weitermachen, wenn die ABM-Zeit vorüber ist.
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