Statt Ernst Thälmann nun der Graf zu Lynar

Lübbenau streitet um die erneute Umbenennung einer Straße / Heute Abend Thema im Stadtparlament

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann- von den Faschisten ermordet am 18. August 1944 im KZ Buchenwald- war die Ehre angeblich nicht mehr wert, dass eine Straße in Lübbenau seinen Namen trägt. Seit 1950 hieß die auf den Bahnhof zulaufende frühere Poststraße so. Anfang der 90er Jahre erfolgte die Rückbenennung. Aber damit ließ es die Stadtverordnetenversammlung (SVV) nicht bewenden. Auf Anregung der örtlichen Schützengilde kam im September mit drei Stimmen Mehrheit und in geheimer Abstimmung der Beschluss durch, der Straße schon wieder einen neuen Namen zu geben: Der Gewürdigte wäre diesmal Wilhelm-Friedrich Graf zu Lynar- von den Nazis hingerichtet am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee. Gegen den SVV-Beschluss regt sich Widerstand. Lynar war Adjutant von Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben und in das Hitler-Attentat vom 20. Juli eingeweiht. Er hatte den Verschwörern sein Schloss im inzwischen abgebaggerten Seese für Treffen zur Verfügung gestellt. Die antifaschistische Einstellung des Grafen zu Lynar ist indes nicht unumstritten. In der Diskussion heißt es jetzt, er habe sich anfangs für die Nazis begeistert, die sich in seinem Schloss in Seese treffen durften. Erst die verlorene Schlacht von Stalingrad habe ihn zum Umdenken bewogen. Anwohner Wolfgang Lehmann sammelte innerhalb kurzer Zeit 1863 Unterschriften gegen die Umbenennung und übergab die Listen an Bürgermeister Helmut Wenzel (parteilos). Lehmann hat nichts dagegen, dass der Graf geehrt wird. Aber er findet, dass es bessere Möglichkeiten gibt- zum Beispiel neben dem Lynarschen Schlosshotel. Lehmann regt auf, dass »über Nacht« entschieden wurde und niemand die Bürger fragte. »Die Straße wird irgendwo zur Hure gemacht«, schimpft der Mann, der sich dort ein Haus baute und 1999 einzog. Wenn die Politik nicht einlenkt, möchte er einen Volksentscheid durchsetzen. Rund 1400 Wahlberechtigte müssten den entsprechenden Antrag unterschreiben. Für Lehmann ist das keine Hürde. Aber so weit muss es nicht kommen. Heute Abend tagt wieder das Stadtparlament. Bürgermeister Wenzel will auf jeden Fall noch einmal über das Thema reden. Es gibt sogar Signale, dass die Rücknahme des Beschlusses beantragt wird. Die PDS würde da mitziehen, bestätigt Jürgen Weissbach, Sachkundiger Bürger der Partei im zuständigen Bauausschuss. Bewegen muss sich die SPD, in deren Reihen zwei Abweichler beim geheimen Votum im September vermutet werden. Allein kommt die PDS gegen die CDU und den Rest der SVV nicht an. Die Lynars sind laut Weissbach »nicht ganz so beliebt in Lübbenau«. Als Alteigentümer des Schlosses und zahlreicher Grundstücke kehrte die Familie 1991 in die Stadt zurück. Sie betreibt in dem Schloss ein Hotel und baut das Gemäuer für diesen Zweck schrittweise aus. Nach der Hinrichtung des Verschwörers hatten die Nazis die ursprünglich aus der Toskana stammende Grafen-Familie enteignet. Während der Bodenreform im Juni 1945 wurde das Land aufgeteilt. Das Lübbenauer Schloss diente erst als Krankenhaus, dann als Kinderheim und schließlich als Ausbildungsstätte des DDR-Ministeriums für Binnenhandel.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -