Manifest destiny oder die Schicksalsbestimmung

Die Präsidenten der USA - in Kriegs- und Friedenszeiten

  • Victor Grossman
  • Lesedauer: ca. 7.0 Min.
Offenbar hat George Bush den Ehrgeiz, sich einzureihen in die Riege der Kriegspräsidenten der Vereinigten Staaten. Die Schar derer ist nicht gerade klein. Bemerkenswert ist, das acht der 43 Männer, die bislang die Geschicke der USA bestimmten, Generalssterne trugen sowie neun weitere ebenfalls militärische Ränge innehatten, bevor sie das Präsidentenamt übernahmen. Da führte Kriegsruhm direkt ins Weiße Haus. Zivilerfahrungen waren nicht zwingend notwendig. General Zachary Taylor, gewählt 1848 nach dem Krieg mit Mexiko, gab zu, in seinem Leben nicht einmal zur Wahlurne geschritten zu sein. Umgekehrt gab es Männer ohne vorherige militärische Laufbahn, die, einmal im Weiße Haus, nach Kriegsruhm strebten. Blättern wir zurück.
George Washington war Kommandeur in einem Befreiungskrieg, einer echten Revolution. Doch als erster Präsident der USA führte der konservative Sklavenbesitzer zwei kurze Kriege: den einen, um die Indianer von Ohio zu vertreiben, den anderen gegen 3000 Bergfarmer, die sich gegen die Steuern auf ihr Hauptprodukt empörten - das war die »Whiskey Rebellion«. Als Präsident Nr. 4, James Madison, 1812 Krieg gegen England erklärte, stritt man, ob dieser nur das Kidnappen von Seeleuten verhindern oder eher der Eroberung von Kanada dienen sollte. Als offizieller Kriegsgrund musste ein britisches Dekret herhalten, das vom Parlament in London dann aber annulliert wurde. Doch ehe die Nachricht den Atlantik überquerte hatte, war vom US-Kongress der Krieg erklärt worden. Wie er begann, so endete auch »Madisons Krieg«: Die große Schlacht von New Orleans wurde 1815 noch ausgefochten, weil die Kunde vom Friedensabschluss die Kombattanten noch nicht erreicht hatte.
In eben jener Schlacht errang General Andrew Jackson die Popularität, die ihn 1828 den Wahlsieg ermöglichte. Er siegte dann weiter, unter Vertragsbruch und Brüskierung des Obersten Gerichtshofs. Die Cherokesen wurden über den Mississippi gejagt (»Marsch der Tränen«). Denn unter deren gepflegten Ackern, hieß es, lag Gold. Eine andere gewaltsame Landnahme besorgte James Polk, Präsident Nr. 11. Die Sklavenbesitzer des Südens brauchten für ihre Baumwollplantagen immer wieder Neuland. Das wurde im Krieg von 1846/48 Mexiko abgerungen: zu Texas (1836) kamen nun Nevada, Utah, Arizona und vor allem Kalifornien, wo wenige Wochen später obendrein Gold entdeckt wurde. Die Expansion bis zur Pazifikküste rechtfertigte man mit dem Begriff »manifest destiny« (Schicksalsbestimmung). Es sei Gottes Wunsch gewesen. Dagegen opponierten etliche. Der Schriftsteller Henry David Thoreau nannte diesen Krieg »das Werk verhältnismäßig weniger, welche die Regierung als ihr Werkzeug benutzen« und weigerte sich, dafür Steuern zu zahlen. Als er daraufhin eingesperrt wurde, fragte ihn sein Kollege Ralph Waldo Emerson: »Henry, was machst du da drin?«, worauf Thoreau antwortete: »Ralph, was machst du da draußen?!« Er schrieb bald seine berühmte Schrift »Ziviler Ungehorsam«, die Leo Tolstoi, Mahatma Gandhi und Martin Luther King stark beeinflussen sollte.
Aber auch im Kongress hatte ein junger Abgeordneter sich gegen diesen Krieg ausgesprochen. Es war Abraham Lincoln. Doch auch er wurde - wenn auch widerwillig - ein Kriegspräsident. In seine Amtszeit fällt der amerikanische Bürgerkrieg. Nach dem Sieg der Nordstaaten wurde Lincoln ermordet. 1877 zogen die Truppen, welche die befreiten Sklaven im Süden geschützt hatten, gegen streikende Arbeiter im Norden und auch wieder gegen die Indianer. Trotz heldenhaften Widerstandes und einiger Erfolge, so 1876 am Little Bighorn, unterlagen am Ende die Indianer. Das Massaker am Wounded Knee 1890 besiegelte ihre Niederlage.
Man schaute sich nun weiter um. Manifest destiny wurde nicht von Meeresufern eingegrenzt. Hawaii kam in den Blick. »Mister Präsident, wir wollen jene Inseln, denn sie sind Wegsteine über das Meer. Nötig für unsere Sicherheit, nötig für unseren Handel«, forderte ein Senator Präsident McKinley heraus. Die Chance bot sich 1898: Das vor Havanna ankernde US-Kriegsschiff »Maine« explodierte, 268 Seeleute starben. Die Ursache des Unglücks war unklar. Doch die Presse schrie: »Remember the "Maine"« und forderte Vergeltung. McKinley stellte der Kolonialmacht Spanien ein unannehmbares Ultimatum. Außenminister Hay sprach von einem »herrlichen kleinen Krieg« - er dauerte drei Monate. Am Ende besaßen die USA Puerto Rico, Guam, die Philippinen und, wenn auch inoffiziell, Kuba.
Die Philippinen hatten sich verzweifelt gegen die neue Kolonialmacht gewehrt. McKinley gab bekannt: »Ich wollte die Philippinen nicht haben. Als sie wie ein Göttergeschenk an uns kamen, wusste ich nicht, was ich mit ihnen machen sollte... Für mehr als eine Nacht schritt ich hin und her im Weißen Haus... und ich sank mehr als einmal in die Knie und betete den Allmächtigen um Licht und Rat... spät in einer Nacht bekam ich ihn.. Es blieb uns nichts übrig, als alle Filipinos zu übernehmen, ihnen Bildung zu geben, sie zu erheben, zivilisieren und christianisieren... als unsere Mitmenschen.« Drei Jahre währte die blutige Unterwerfung.
McKinley traf 1901 die Kugel eines Anarchisten. Dieses Attentat bot den Anlass zur Einführung einer Art »Regelfrage« für Einwanderer. Vizepräsident Theodore Roosevelt, der sich mit organisiertem Presserummel als Held von Kuba feiern ließ, kam nun ins Weiße Haus als Nr. 26. Sein Motto für die Außenpolitik: »Sprich leise, doch trage einen großen Knüppel.«
Nr. 28 hieß Woodrow Wilson, heute noch als Kämpfer für die Selbstbestimmung geehrt (weniger von schwarzen Historikern, denn er war ein eingefleischter Rassist). Für seinen äußerst knappen Wahlsieg 1916, der ihn ein zweites Mal ins Weiße Haus brachte, war die Losung ausschlaggebend: »Er hielt uns aus dem Krieg!« Nur einen Monat nach seiner Amtseinweihung jedoch standen auch die USA im Ersten Weltkrieg. Deutsche U-Boote hatten US-Schiffe attackiert.
Senator Norris aus Nebraska war einer der wenigen, die im US-Kongress gegen den Kriegseintritt gestimmt hatten: »Wir unternehmen heute einen Schritt voller unsäglicher Gefahr... durch unsere Tat lassen wir Millionen von unseren Landsleute leiden.« So war es dann auch. Zahlreiche Kriegsgegner wurden eingesperrt. Wilsons Völkerbundplan wurde 1919 von den siegenden Republikanern abgelehnt; die USA zogen sich aus Europa zurück. Dafür mischten sich Flotte und Marineinfanterie weiter in Mittelamerikas ein.
Doch als die Drohung des Faschismus anwuchs, blieben die USA, selbst unter ihrem progressiven Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, zunächst offiziell »neutral«, was sich diesmal wirklich als schicksalhaft erwies. Denn diese »Neutralität« war mitschuld an der Niederlage der demokratisch gewählten Volksfrontregierung in Spanien. Auch der Einsatz Tausender internationaler Freiwilliger, darunter mehr als 3000 US-Amerikaner, konnte sie nicht retten. Roosevelt meinte später, diese Blockade wäre der größte Fehler seines Lebens gewesen. Die Passivität aller Westmächte ermöglichte Hitler, den Zweiten Weltkrieg zu beginnen. Doch erst das Desaster von Pearl Harbor im Dezember 1941 veranlasste die USA, in den Krieg einzutreten (gerätselt wird noch heute, ob Roosevelt etwas von dem Angriff der Japaner im Voraus wusste und verschwieg, damit ein Grund zum Kriegseintritt gegeben sei). April 1945 starb der antifaschistisch gesinnte Präsident. Binnen vier Monaten setzte sein Nachfolger Truman dem militärischen Sieg über den Faschismus eine tragische Entscheidung nach: mit dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki. Und ehe er im Januar 1953 das Weiße Haus verließ, war der Kalte Krieg in einen heißen verwandelt - auf der koreanische Halbinsel.
Trumans Nachfolger, Ex-General und Republikaner Eisenhower, bejahte zwar einen Waffenstillstand in Korea, mischte sich aber mittels Unterstützung der Kolonialmacht Frankreichs sogleich in Indochina ein. Die vietnamesischen Befreiungskämpfer hatten ihre Unabhängigkeitserklärung nach dem amerikanischen Vorbild von 1776 formuliert, und doch wurden sie mit einem mörderischen Bombenkrieg bedacht. US-Außenminister John Foster Dulles und sein Bruder Alan Dulles, Chef der noch jungen CIA, drehten weiter an der Spirale des Kalten Krieges. Nach dem unter Eisenhower geplanten und unter Kennedy gescheiterten Angriff gegen Kuba in der Schweinebucht und dem knappen Vorbeisegeln an einem Nuklearkrieg während der Kuba-Krise 1962 nahm der Horror gegen Vietnam zu. Manche Historiker meinen, dass Kennedy die USA aus Vietnam zurückzuziehen gedachte und daher ermordet wurde.
Sein Nachfolger Lyndon B. Johnson versprach 1964 zwar Frieden, inszenierte aber dann den »Tonking-Zwischenfall«, um in Vietnam den totalen Krieg auszulösen. Doch in den USA wuchs die Antikriegshaltung. Johnson musste auf eine Wiederwahl verzichten, doch Nixon und sein Berater Kissinger trugen den Krieg noch nach Laos und Kambodscha. Nach millionenfachem Protest daheim und Meutereien in der US-Army selbst, und nachdem fast zwei Millionen Vietnamesen und mehr als 50000 Amerikaner gestorben waren, orderte Nixon seine Truppen und Bomber zurück. Als er 1974 in Schande abdanken musste, blieb seinem Nachfolger Ford nur noch, zuzusehen, wie die letzten Amerikaner in wilder Flucht Saigon verließen.
Das »Vietnam-Syndrom« in der Bevölkerung der USA verhinderte in der Folge größere Kriege unter Gerald Ford, Jimmy Carter und Ronald Reagan, obwohl alle drei Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder nicht scheuten. Neben CIA-Aktionen (am blutigsten in Angola, El Salvador, Nikaragua sowie Chile) wurden auch einige kurze Kriege gewagt, so gegen Grenada 1983 und Panama 1989.
Die Hoffnung der Welt 1990, der Sieg der USA und ihrer Verbündeten im Kampf der Systeme würde Kriege für immer aus der Welt verbannen, erwies sich als Trugschluss. Als Manifest destiny galt nun eine nach US-Interessen ausgerichtete »Weltordnung«. Unter Bush senior ging es gegen den Irak 1991, unter Clinton gegen Jugoslawien 1999 - blutig wie eh und je.
Es waren kriegerische Jahrhunderte seit George Washington. Doch zu allen Zeiten kämpften Amerikaner gegen ungerechte Kriege, demonstrierten, marschierten und wurden inhaftiert. Der Geist des Widerstandes regt sich auch heute.
Unser Autor flüchtete 1952 ...

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