»Vornehmlich rastlos«
Das Bild der Roma ist noch immer stark von Vorurteilen geprägt
Roma seien besonders häufig Ziel von Hass und Diskriminierung, beklagte vor wenigen Tagen das europäische Roma-Informationsbüro EIRO. Auch eine Mehrheit der Deutschen pflegt antiziganistische Vorurteile.
Das Fazit der Experten, die vergangene Woche in Köln über die Situation der Roma in Europa berieten, fiel ebenso eindeutig wie negativ aus: »Überall findet man sie am Rand der Gesellschaften«, befand das »Forum Integration« der Otto Bennecke Stiftung und beklagte, dass Roma »an vielen Stellen sogar von Verfolgung bedroht« seien.Zu ähnlichen Ergebnissen kam das European Roma Information Office (EIRO). Roma seien »Europas Unbeliebteste«, so die in Brüssel ansässige Nichtregierungsorganisation nach der Durchsicht zahlreicher Meinungsumfragen: 75 Prozent der Rumänen lehnten es ab, Tür an Tür mit Roma zu leben und nur elf Prozent der Iren wollten Roma als Kollegen akzeptieren. Auch hier zu Lande ist die Ablehnung der abfällig »Zigeuner« Genannten weit verbreitet. 1994 lehnten es 68 Prozent der Befragten ab, neben Roma und Sinti zu wohnen.
Einen der Gründe sieht der Politikwissenschaftler Wolfgang Wippermann im »extrem vorurteilshaften Bild der Sinti und Roma in der Publizistik«. Eine Mischung aus »Exotismus und Hass« hat auch der Medienforscher Franz Hamburger festgestellt, der die Berichterstattung über Roma und Sinti untersucht hat. Deren Lebensweise erscheine einerseits als »sagenhaft, unwirklich, von Zauber umgeben«, andererseits aber als »raffiniert, verwerflich und durchtrieben«.
Die Stigmatisierung macht auch vor staatlichen Stellen keinen Halt. Zwar gehören Roma und Sinti seit 1997 zu einer der vier anerkannten nationalen Minderheiten (neben Sorben, Friesen und Dänen). Doch bei der Verpflichtung des Staates zur besonderen Förderung konstatierte das Open Society Institute (OSI) Anfang 2003 »ernstliche Hindernisse«. Vor acht Jahren verweigerte ein Wohnungsbesitzer in Bochum einer Sinti-Familie den Mietvertrag, weil es »Zigeuner« seien. Das Amtsgericht lehnte die Klage der Familie ab. Begründung: »Diese ethnische Gruppe ist traditionell vornehmlich rastlos.« Dass die meisten Roma und Sinti seit langem sesshaft sind, spielte für das Gericht offenbar keine Rolle.
Wie zäh solche Klischees sind, zeigt sich auch auf groteske Art. Als die Medien Anfang der 90er Jahre von einer »Einwanderungswelle« osteuropäischer Roma berichteten, fanden sich in Norddeutschland vor Geschäften plötzlich Besen. Sie sollten einem mittelalterlichen Aberglauben zufolge »Zigeuner« fern halten. Mit mäßigem Erfolg: Die Roma hielten die ausgestellten Stücke schlicht für Sonderangebote.
Fakten
Die Roma kamen zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert aus Indien über die Balkanländer nach Osteuropa. Seit dem 15.Jahrhundert bildeten sich unterschiedliche Gruppen heraus, die sich in Osteuropa Roma nannten, in Spanien Cale und in den deutschsprachigen Gebieten Sinti. Erstmals urkundlich erwähnt wurden Sinti hier zu Lande 1407 in Hildesheim. Die erst seit dem 19. Jahrhundert aus Osteuropa nach Deutschland gewanderten Angehörigen der inhomogenen Volksgruppe nennen sich wiederum Roma.
Schätzungen zufolge leben weltweit rund zwölf Millionen Menschen, die sich den Roma zugehörig fühlen, die meisten von ihnen in Osteuropa und Spanien. In der Bundesrepublik leben rund 70000 deutsche Sinti und Roma.
Die von vielen Sinti und Roma als diskriminierend empfundene Bezeichnung »Zigeuner«leitet sich vom persischen »ciganch« (Tänzer, Musiker) oder dem byzantinischen »atciganoi« (Unberührbare) ab. Auch die Herkunft des Begriffs Sinto (Plural: Sinti) ist umstritten, eventuell verweist es auf den Ursprung der Roma in Indien. Ihre Sprache, das Romanes, hat sich aus dem Sanskrit entwickelt. Rom (Plural: Roma) bedeutet Mensch.
Die meisten Roma in Europa sind im Laufe des 20. Jahrhunderts sesshaft geworden. Einige leben allerdings nach wie vor nomadisch oder wechseln jahreszeitlich die Lebensweise.
Seit Februar 1982 fungiert der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma als Vertretung. Der Dachverband umfasst heute insgesamt 16 Einzelverbände, hat seinen Sitz in Heidelberg und wird von der Bundesregierung institutionell gefördert.
Literaturtipp: Wolfgang Wippermann: Wie die Zigeuner. Antisemitismus und Antiziganismus im Vergl...
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