Alles Schall und Rauch
Es war einmal eine Fraktion. Ihr hinkte der Ruf voraus, sich überaus einig zu sein. Was ja selbst in besten Familien vorkommt. Selbige Fraktion bestand aus 89 Köpfen, aus schwarzen, grünen, rosaroten und roten. Über alle Glaubens-, Ermessens-, Geschlechter- und Parteigrenzen hinweg hatten sie den Tabak als schlimmen Feind erkannt.
Und wollten ihn aus dem Berliner Abgeordnetenhaus vertreiben. Wenigstens für jeweils immer dann, wenn sich jemand im hohen Hause aufhält. Und zumindest in
der Lobby und im Casino. Nur im abhörsicheren Tagungsraum sollten sich die Rauchbolde und ihre weiblichen Pendants noch gelegentlich und ausnahmsweise eine anstecken dürfen.
Der Qualm, so befand man salomonisch, vernebelt die Köpfe der Abgeordneten und nicht minder die der Senatoren. Beispiele kennt man genug. Niemals hat man in diesem Hause von soviel selbstkritischer Distanz gehört, was die eigene parlamentarische Potenz anbetrifft.
89 Tage haben die 89 Köpfe gebraucht, um sich zu verabreden, das parlamentarische Verbotsprocedere zu starten und vor sich hin köcheln zu lassen, bis es nun endlich voller guter Hoffnung im Rechtsausschuß zur Abstimmung kam. Sechs Hände hoben sich, sechs blieben unten, zwei regten sich nicht und blieben in der Hosentasche. Antrag durchgefallen. Alles nur Schall
und vor allem weiter Rauch. Das Patt im Ausschuß dient der Zigaretten-Mafia des Abgeordnetenhauses.
Besonders traurig sind nun diejenigen armen Tröpfe, die sich in scheinbar weiser Voraussicht umgekehrten Abstimmungsverhaltens das Rauchen abgewöhnt hatten. Nur Mut, kann ich als praktizierender Nichtraucher in diesem Falle nur raten - besagte Antiqualmfrontfraktion hat einen langen Atem und wird alsbald neuen Tabak-Staub aufwirbeln.
Schule machen sollten solche Aktionen gegen parlamentarisch-ethische Minderheiten wie die Raucher allerdings nicht. Denn dann dürften womöglich die Fußkranken unter den Abgeordneten nicht mehr ins Plenum. Casino oder in die Lobby, nicht die Dicken, Bärtigen, Hinterbänkler, Glatzköpfigen, nicht die Doofen. Ja, wo kämen wir denn da hin.
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