- Kultur
- SPEKTAKULÄRE MORDE IN DER DDR
Geheimnisse in grüner Tapete
Hans Girod, ehemals Professor für Kriminalistik an der Humboldt-Universität zu Berlin, hat - lange angekündigt! - sein Archiv geöffnet. Herausgekommen ist eine , Sammlung von 14 Tötungsstraftaten, die im Zeitraum von 1964 bis 1985 die DDR bewegten. Und der schlagende Beweis, daß die DDR ein Land wie jedes andere war. Man mordete zwar nicht ganz so häufig wie in der BRD, wie der informativen Einleitung zu entnehmen ist, aber die Motive, jemanden umzubringen, waren keinesfalls DDRspezifisch: Ein mißratener Schüler ersticht seinen Lehrer, weil ein Hausbesuch bei den Eltern bevorsteht; drei Ganoven töten einen Rentner aus Bereicherungsabsicht; ein Pärchen bringt den störenden Ehemann um. Sexualverbrecher, Kindermörderinnen und Sadisten - all das gab es auch in der DDR. Wie es sich für einen Pitaval geziemt, bekommt der Leser einen Einblick in den aufregenden Kripoalltag. Die Tötungsverbrechen, über die berichtet wird, sind allesamt, fast immer durch intensive und akribische Ermittlungsarbeit, aufgeklärt worden. Im auch durch einen »Polizeiruf 110« bekannten »Kreuzworträtselfall« wurden beispielsweise 551 198 Schrift-
Hans Girod: Das Ekel von Rahnsdorf und andere Mordfälle aus der DDR. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1997. 255 S., zahlr Abb., geb.. 24,80 DM
proben (!) ausgewertet, was letztlich zum Täter führte. So wird gezeigt, daß gut ausgebildete Kriminalisten am Werke waren, die ihren Auftrag, Mörder dingfest zu machen, sehr ernst nahmen. Da hätte es des Hinweises im Vorwort gar nicht bedurft, daß dem Autor jede verklärende Nostalgie fernliege.
Das Buch beweist auch, daß Detektive des »großen Bruders« unterwegs waren, um Mörder (und nicht etwa Staatsfeinde!) einer gerechten Strafe zuzuführen. Das »Geheimnis in grüner Tapete« erzählt von zwei Kapitalverbrechen, bei denen hinter der frisch aufgebrachten Tapete Blutspuren gesichert werden konnten: Beweis der Morde! Dietmar Lorenz von der Berliner Morduntersuchungskommission ist der intuitive Kriminalist, der die Täter auf brillante Art überführt. Die Hauptabteilung Untersuchung des MfS wird auf Lorenz aufmerksam und gewinnt ihn mit Parteiauftrag. Zitat (S. 179): »Er wird regelmäßig befördert und ist bis
zum Untergang des MfS auf dem Gebiet der Morduntersuchung tätig. Wegen eines chronischen Herzleidens erwerbsunfähig, erhält er heute eine monatliche Rente von 805 DM.« Als Dankeschön für erfolgreiche Mörderjagd.
Nebenher gibt es einige fachliche Exkurse, so zum Alkoholmißbrauch in der DDR und zu seinen Folgen auf das Kriminalitätsgeschehen, zum Suizid, den es offiziell im sozialistischen deutschen Staat nicht geben durfte, wie auch zu Sexualverbrechen. Zu letzteren wird sich heute hierzu eifrig äußernden Politikern empfohlen, mehr für den Ausbau von Therapie zu tun, als lediglich nach Todesstrafe und Zwangskastration zu verlangen. Girod zeigt viel Sympathie für die ermittelnden Kriminalisten, die er teils aus gemeinsamer Arbeit kennt. Da wirken einige, vielleicht dem Zeitgeist geschuldete ironische Bemerkungen etwas aufgesetzt.
Dramaturgische Kunstgriffe, dies sei noch hinzugefügt, werden kaum verwendet. Das mag den Sachbuchleser, der den reinen Fall, informative Bilder und nichts anderes haben will, erfreuen. Kurzum: ein dokumentarisch erzähltes, dennoch bewegendes Buch, das in keiner Krimi-Bibliothek fehlen sollte.
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