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Schweizer Schiedsrichter-Skandal
Hat die Nationalelf der Eidgenossen ein EM-Qualifikationsspiel erkauft? Von Beat Leuthardt, Basel
Missetäter Kurt Röthlisberger Foto: Reuter
für die WM 1998 zu nehmen. Im Fall der Türkei sei die Bestechung gelungen: bloß dank eines nicht gegebenen Elfmeters habe die Schweiz mit 2:1 gewonnen. Dies wiederum dementiert der Schweizer Verband als »absurd«.
Funktionäre und Fußvolk reiben sich unterdessen die Augen. Im Unterschied zu anderen Ländern galt der Schweizer Fußball bisher als korruptionsfrei. Erste Analysen versuchen daher, von der Persönlichkeitsstruktur von Röthlisberger dem tatsächlichen Geschehen auf die Spur zu kommen.
Dabei fällt der schlechte Ruf auf, den der Top-Schiedsrichter genießt. Er gilt wahlweise als »naiv«, »redselig« oder »ungeschickt«; so ganz ernst vermag ihn eigentlich niemand zu nehmen. Diesen Ruf hat er über Ostern keineswegs verbessert, wie sich bei seinen »Erklärun-
Ungläubiges Staunen am Schweizer Fest der Freude: Ostern war für die heile Schweizer Fußballwelt zum Wechselbad der Gefühle geworden. Grund: Kurt Röthlisberger, der oberste Schweizer Schiedsrichter. Nicht nur er scheint in Korruptionsskandale verwikkelt, wie man aufgrund einer lebenslangen Sperre durch die Europäische Fußball-Union annehmen muß. Jetzt spinnt er selber, plötzlich sehr redselig, weitere Korruptionsskandale auch um die Schweizer Fußball-Nationalmannschaft und ihr Umfeld.
Begonnen hatte es, als zu Karfreitag die von der UEFA erlassene lebenslängliche Sperre gegen Röthlisberger bekannt wurde. Am 18. Oktober vergangenen Jahres habe dieser dem Manager des Schweizer Meisters Grasshoppers Zürich, Erich Vogel, gegenüber die Möglichkeit angedeutet, die bevorstehende Champions-League-Partie der Zürcher »Millionäre« gegen den französischen Meister Auxerre mit 100 000 Schweizer Franken ins Portefeuille des weißrussischen Schiedsrichters Wadim Schuk positiv zu beeinflussen. Die UEFA untersuchte ein halbes Jahr, ehe sie ihr Verdikt fällte.
Noch während Röthlisberger um Karfreitag bestritt, meldete das Schweizer »Bild«-Abbild »Blick«, derselbe Röthlisberger habe auch gegenüber einem eigenen Redakteur früher in einem persönlichen Treffen eine weitere Spielbeeinflussung mit Schweizer Beteiligung angedeutet. Erneut bestritt Röthlisberger und meinte, umgekehrt hätten »Blick« und die Verantwortlichen der Schweizer Fußball-Nationalmannschaft versucht, über die entsprechenden Schiedsrichter Einfluß auf die Schweizer Qualifikationsspiele gegen die Türkei im Hinblick auf die EM von 1996 und gegen Norwegen
gen« zu seiner Reinwaschung gezeigt hat. So kritisiert er zwar die lebenslange Sperre der UEFA und bezeichnet sich als unschuldig; das Gespräch mit Grasshoppers-Manager Vogel sei nicht ernsthafter Natur gewesen. Wer Schlitzohr Vogel kennt und auch die engen Beziehungen zwischen dessen Verein und dem Boulevardblatt »Blick«, mag solche Aussagen zunächst sogar noch glauben.
Doch legt die UEFA offenbar eine Art schriftliches Schuldgeständnis vor, von Röthlisberger unterzeichnet. Und was sagt der? Er habe, weil es in Französisch verfaßt sei, Inhalt und Tragweite nicht ermessen können. Sagt der Mann, der im Zivilleben Bezirksschullehrer ist und aus der viersprachigen Schweiz stammt, wo sozusagen jeder Deutsch-Schweizer auch französisch spricht.
Da mag man auch Röthlisbergers im Deutschen Sportfernsehen lancierten »verzögerten Konter« - Bestechung und Bestechungsversuch zugunsten der Schweizer Nationalelf - eher nicht so recht glauben. Da gilt einerseits die Verbandsspitze im Alpenland eher trag denn gewieft. Zum anderen würde es die Glaubwürdigkeit des Bezirkschullehrers nicht erhöhen, wäre die Geschichte wahr
Da fragt sich der Unbeteiligte: Wie subtil wählt das Schweizer Schiedsrichtergremium aus, wenn es einen wenig überzeugenden Mann wie Kurt Röthlisberger seinerzeit sogar zum obersten Schiedsrichter und Inspizienten seiner Kollegen in der Schweiz gemacht hat? Und wieso blieb der Mann in der Schweiz Top-Referee, obwohl er 1995 von der FIFA schon einmal für drei Monate gesperrt war? Damaliger Grund: Er hatte für die Schweizerische Volkspartei, die teilweise als rechtsaußen gilt und deren Exponent Christoph Blocher in zunehmendem Ma-ße mit dem Österreicher Jörg Haider und dem Franzosen Jean-Marie Le Pen verglichen wird, unerlaubterweise Leibchenwerbung gemacht
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