Die heilige Condoleezza der Schlachtfelder

Die künftige Chefin im State Department verkörpert nach den Worten ihres obersten Dienstherrn George W. Bush die Kraft, die Grazie und den Anstand der USA

  • Jürgen Cain Külbel
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.

Statt, wie ursprünglich geplant, am vergangenen Donnerstag will der USA-Senat erst an diesem Mittwoch über die Berufung von Condoleezza Rice zur Außenministerin abstimmen. Die oppositionellen Demokraten haben das Verfahren verzögert. Er habe bei Rice leider keinerlei Einsicht dahingehend gesehen, dass der Kurs der Politik oder die Vorstellung von der Rolle der USA in der Welt geändert werden müssten, bedauerte Senator John Kerry, der unterlegene Präsidentschaftskandidat. An der Besetzung des Ressorts ändert das nichts.

Als USA-Popstar Janet Jackson im April 2004 in der Show »Saturday Night Live« den Busen entblößte und so die seit den Anschlägen vom 11. September »erhitzt« wirkende Bush-Beraterin Condoleezza Rice karikierte, dürfte der Tochter eines presbyterianischen Priesters der Lippenlack Marke »Yves Saint Laurent Nr. 10« abgebröckelt und das eisige Lächeln unter den glatt gestriegelten Haaren vollends gefroren sein. Denn für Frau Rice waren und sind vorgeblich hohe ethische Standards elementar. Rice, die täglich fünf Uhr morgens das Laufband traktiert, Punkt sieben im Büro sitzt, wittert im internationalen Terrorismus eine akute Gefahr für ihr Land. Die Aggression in Afghanistan hieß sie willkommen, nahm sodann Saddam Hussein gnadenlos ins Visier und wurde des Posaunens nicht müde: Iraks Massenvernichtungswaffen bedrohen Amerika.

Chevron taufte einen Tanker auf ihren Namen

Condoleezza, »die Sanftmütige«, kam 1954 in Alabama als Genie zur Welt, spielte früh Klavier, übte Ballett, Eiskunstlauf und ging 15-jährig an das Aspen-Musik-Camp, um Pianistin zu werden. Da sie jedoch nicht »13-Jährige im Morden von Beethoven« anleiten wollte, wechselte sie zur Politikwissenschaft. Ihr Dozent und Förderer Josef Korbel, ein vor Hitler geflohener Jude, tschechischer Diplomat, heißblütiger Antikommunist und Vater der späteren Außenministerin Madeleine Albright, weckte in ihr das Interesse an Mittel- und Osteuropa. Von da an gab es für den beinahe täglichen Gast im Hause Korbel/Albright nur »sowjetische Politik, sowjetisch pur«.
Die kluge, ehrgeizige Rice erntete schnell Lorbeeren: Bachelor mit 19, Master mit 22, Doktorgrad mit 27 Jahren. Ab 1977 arbeitete sie für das State Department, das USA-Außenministerium, ab 1980 für die Rand Corporation, eine Denkfabrik, dem Geiste der Rüstungsindustrie entsprungen, die über Politik, Justiz, Soziales grübelt und an der kein USA-Präsident je vorbei kommt. Logisch war 1981 die Berufung der Akademikerin mit den Spezialgebieten Ostmitteleuropa, Sowjetunion, vergleichende Studien von militärischen Institutionen und internationale Sicherheitspolitik in ein Projekt zu Abrüstung und Waffenkontrolle.
1982 wurde Rice Mitglied der Republikanischen Partei; enttäuscht ob der laschen Reaktion der Carter-Regierung auf den Einmarsch der Sowjetarmee in Afghanistan. 1986 war sie unter Ronald Reagan im Rat für ausländische Beziehungen, ab 1987 Ratgeberin in Sachen Nuklearstrategie. Von 1989 bis 1991 diente sie George Bush senior als Direktorin für osteuropäische und sowjetische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat, prägte dessen Osteuropapolitik und kurbelte die »Transformation« Polens an. 1990 war sie an der Vorbereitung der Gipfeltreffen zwischen Bush und Michail Gorbatschow zur Ausarbeitung eines globalen Friedensplans und an den Zwei-plus-Vier-Gesprächen beteiligt.
Im Mai 1991 heuerte der Ölgigant Chevron Condoleezza Rice. Der in 25 Ländern aktive Konzern machte mit ihr an der Spitze Geschäfte mit Diktatoren, butterte Millionen Dollar in westafrikanische Bürgerkriege, um Kleptokratien an der Macht zu halten, die ihm das reichliche Erdöl sicherten, und nahm eine Anklage wegen Menschenrechtsverletzungen in Nigeria hin. Rice, Expertin für Kasachstan, wo Chevron die größten Konzessionen besitzt, lieferte brisante Gutachten über künftige Ölgeschäfte in Zentralasien, während der jetzige Vizepräsident Dick Cheney, damals Chef des Erdölzulieferers Halliburton, mit Chevron während Rice's Direktorat einen Multi-Milliarden-Dollar-Vertrag über den Bau einer Pipeline abschloss, die kaspisches Erdöl auf den Weltmarkt bringen sollte.
In den 90ern nahm die USA-Ölindustrie Afghanistan ins Visier: Der Unocal-Konzern, führend beim Aufbau des zentralasiatischen Erdöl- und Erdgaskonsortiums, wollte das schwarze Gold mittels Pipeline via Afghanistan und Pakistan abtransportieren und finanzierte ab 1996 die Taliban. Als die jedoch mit Osama bin Laden kooperierten, wurde das Projekt auf Eis gelegt. Die Konzerne, auch Chevron, die in Zentralasien stark investiert hatten, drängten auf den Sturz der Gotteskrieger.
Rice blieb Chevron ein Jahrzehnt lang treu. Der Konzern ehrte sie 1995 für treue Dienste und taufte den größten Tanker der Firmenflotte auf den Namen »Condoleezza Rice«. Die Geehrte, deren Jahreseinkommen 550000 Dollar betrug und die Chevron-Aktien im Wert von mehr als 250000 Dollar besitzt, bekannte: »Ich bin sehr stolz auf meine Verbindung zu Chevron, und ich denke, wir sollten sehr stolz auf die Arbeit der amerikanischen Ölgesellschaften sein, die im Ausland und zu Hause schürfen und Garant sind, dass wir einen sicheren Energievorrat haben.«

Bei Bushs gehört sie zur Familie

Seit zwei Jahrzehnten ist sie mit dem Bush-Clan befreundet. Sie pflegt ein familiäres Verhältnis zum heutigen Präsidenten-Ehepaar, das ihr auf der Privatranch in Texas ein Gästehaus eingerichtet hat. So sie mit Bush jr. während der gemeinsamen Wochenenden nicht über Football und Baseball debattiert, schauen sie fern, schwitzen im Fitness-Raum, puzzeln oder beten. Seit 1998 unterwies sie Bush jr. in Außen- und Sicherheitspolitik und präparierte ihn so für die Präsidentschaftswahl 2000. Nach dem Wahlsieg stieg Rice im Januar 2001 aus dem Chevron-Vorstand und den Verwaltungsräten bei Transamerica, Charles Schwab, Hewlett Foundation und J. P. Morgan International Advisory Council aus, um dem Präsidenten als Sicherheitsberaterin zu dienen. Prompt verkündete sie die neue Außenpolitik: Nationale Interessen der USA haben Vorrang, die NATO müsse gestärkt, die strategischen Verhältnisse zu den Großmächten China und Russland müssen geklärt und die Erdölreserven im Mittleren Osten gesichert werden. Ebenso prompt nannte Chevron den Rice-Tanker in »Altair Voyager« um.
Dann der 11. September 2001. Blitzschnell machte die Bush-Crew die Feindbilder bin Laden, Al Qaida, Saddam Hussein aus, die sich mustergültig mit den Gelüsten der USA-Ölindustrie verknoteten. Im Dezember 2001 ernannte Bush den vormaligen Berater des Ölkonzerns Unocal und Abkömmling der alten afghanischen Herrscherelite, Zalmay Khalilzad, zum Sonderbeauftragten für Afghanistan. Seine Chefin Rice kannte er: Beide arbeiteten für Chevron und Unocal am Pipelineprojekt in Zentralasien, das Cheneys Halliburton realisieren wollte. Der Krieg gegen Afghanistan war Formsache: Hamid Karsai, ebenfalls Unocal-Berater, wurde Präsident des befriedeten Landes, das Pipelineprojekt ging 2002 über die Bühne.
Ziel des nachfolgenden Krieges gegen Irak war, 15 Milliarden Tonnen irakisches Öl unter USA-Kontrolle zu bringen. Die US-Army nahm zuvörderst irakische Raffinerien und Ölfelder, die sie noch heute sichert. Im August 2003 erließ Bush den geheimen »Executive Order 13303«: USA-Ölfirmen wie Chevron-Texaco, Exxon-Mobil wird absolute Straffreiheit zugesichert. Was immer sie mit irakischem Öl tun, sie können dafür gerichtlich nicht belangt werden.

Die nächsten Ziele sind im Visier

Chevron darf stolz auf Condoleezza sein, die schon die nächsten Lumpen vor der Flinte hat: Vor dem Senat brandmarkte sie Iran, Nordkorea, Myanmar (Burma), Kuba, Simbabwe und Belarus als »Vorposten der Tyrannei«. In Iran lagern 60 Prozent der Weltölreserven; im erdöl- und -gasreichen Myanmar ist Unocal neben der burmesischen Regierung Mitinhaber einer milliardenschweren Naturgas-Pipeline; Kuba, den USA sowieso ein Stachel im Fleisch, fand 2004 vor der Nordküste 100 Millionen Barrel Erdöl
Als ihr demokratische Senatoren vorwarfen, die Öffentlichkeit über die angebliche atomare Bedrohung durch Irak getäuscht zu haben, verteidigte Frau Rice den Feldzug: »Es waren nicht nur die Massenvernichtungswaffen... Saddam Hussein hat den Terrorismus unterstützt ... und musste nach der neuen Beurteilung der Lage nach den Anschlägen vom 11. September 2001 entfernt werden.« Immerhin kündigte sie auch diplomatisches Benimm an: »Unsere Gesprächsform mit dem Rest der Welt muss eine Konversation und darf kein Monolog sein.« Wohl wissend, dass weitere Schlachten ohne kriegslustige Mitspieler nicht zu schlagen sind.
Der Albtraum des Falken Rice, »13-Jährige im Morden von Beethoven« unterrichten zu müssen, blieb aus. Heute verbringt die Pianospielerin, die sich wochentags um die Tyrannen der Welt kümmert, die Sonntage mit einem privaten Kammerorchester und spielt in glatt geplätteter Garderobe Brahms. Apropos Falke: Das englische Wort bedeutet nebenher auch Gauner oder Hausierer.
Der Aufstieg der Condoleezza Rice zur USA-Außenministerin ist ein Triumph für die Neokonservativen in der Bush-Regierung und eine PR-Maßnahme zugleich. Des Präsidenten Großer Geist soll dem Erdkreis die USA-Vision von der »Neuen Weltordnung« verkaufen. Doktor Rice, sagt Präsident Bush, werde die Kraft, ...

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