- Politik
- 60 Jahre Befreiung
»Jawohl, Obersturmführer!« - ein Deutscher namens Oswald Kaduk
4 Ks 2/63 - ein Prozessakt, der nicht wirklich an das Gewissen der Nation rührte
Es gibt viele Berichte darüber, wie es passieren konnte, dass am 19. und 20. August 1965 in Frankfurt (Main) - wieder alle realistischen Erwartungen - Urteile gegen Auschwitz-Mörder ergingen: Sechs Mal lebenslänglich, elf Strafen zwischen drei und vierzehn Jahre, drei Freisprüche. Diese Berichte führen immer wieder zu den Namen einiger weniger beherzter Antifaschisten. Einer lautet Fritz Bauer. Das war jener hessische Generalstaatsanwalt, der als Sozialist und Jude die Verfolgung durch die Nazis am eigenen Leib erfuhr. Ein weiterer Name ist der des Lokaljournalisten Thomas Gnielka. Immer wieder legte er die Verzögerungstaktik der Wiesbadener Wiedergutmachungsbehörde offen. So erwarb er das Vertrauen von Naziopfern - und so geriet ein Dokument in seine Hände, das in der Brisanz kaum zu überbieten war: Die Buchführung der Auschwitz-Kommandantur über die »Erschießung von Häftlingen auf der Flucht«. Mit diesen Erschießungslisten, in denen die Namen der Mörder penibel verzeichnet sind, konnte Bauer eine Bresche schlagen in die fest gefügte Schweigefront der SS-Täter und der mit ihnen noch immer solidarisch verbundenen Altnazis aller Art, die in der Bundesrepublik abermals in mächtigen Ämtern saßen.
Einer der - wie das Gericht später feststellte - »grausamsten, brutalsten und ordinärsten SS-Männer im KZ-Auschwitz« war Oswald Kaduk. Kaduk, in Königshütte geboren, hatte das Metzgerhandwerk erlernt. Dann wurde er Feuerwehrmann, trat der SS bei, wurde zunächst Block- später Rapport-Führer in Auschwitz. Nein, er hat Menschen nicht direkt ins Gas geführt. Er hatte nur wie ein Luchs aufgepasst, dass sich kein zum Tode Bestimmter in die Arbeitskommandos schmuggeln konnte. Und bisweilen schlug er schon mal einen Häftling tot, wenn der nicht genug Arbeitseifer zeigte.
Als Kaduk vor den Untersuchungsrichter geführt wurde, sprang er bei der Beantwortung jeder Frage auf, nahm »Haltung« an, schlug die Hacken zusammen. Der zuständige Jurist erinnert sich, dass er bisweilen auch nur »Jawohl, Obersturmführer« antwortete. Dann entschuldigte er sich verlegen, es sei eben so »drin« in ihm.
Kaduk, der Roboter, verteidigte sich damit, dass er nur ausgeführt habe, was andere ihm sagten. Verantwortlich seien ganz andere gewesen. Die Namen, die ihm vermutlich mit Hilfe der Verteidigung eingefallen sind, lauteten Dr. Hans Globke oder Theodor Oberländer. Der eine war Kanzler Adenauers Staatssekretär - vormals Verfasser von Kommentaren zur Rassengesetzgebung. Der andere, einer von Adenauers Ministern, hatte in einer Wehrmacht-Sondertruppe andere Völker unter falscher Flagge überfallen und Massaker an Juden zumindest als hilfreich geduldet.
In der Bundesrepublik blieben die beiden unangetastet, lediglich die DDR stellte die Spitzenpolitiker in Abwesenheit vor ein Gericht. Es war die Zeit des Kalten Krieges. Die Ost-West-Gegensätze waren nicht hilfreich beim Auschwitz-Prozess. Immer wieder versuchten Angeklagte sich die mangelnde Zusammenarbeit zwischen BRD-, DDR- sowie polnischen und sowjetischen Ermittlungsstellen zunutze zu machen. Kaduk ging dabei noch weiter. Folgendes ist überliefert: Als der stramme (Ex-)SS-Unterführer erfuhr, dass der damalige polnische Premier Josef Cyrankiewicz, ein Kommunist, Häftling im Lager Auschwitz gewesen ist, soll Kaduk gesagt haben: »Wenn ich damals die Möglichkeit gehabt hätte, hätte ich ihn um die Ecke gebracht!«
Kaduk wurde vom Frankfurter Schwurgericht wegen zehnfachen Mordes und mindestens tausendfachen gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. 1989 kam er frei und lebte noch bis 1997 unbehelligt mitten unter uns.
In den Auschwitz-Vernichtungslagern versahen rund 8000 SS-Männer, darunter mindestens 200 Frauen, ihren »Dienst«. Gerade ein Zehntel von ihnen wurde verurteilt. Davon fast 750 von polnischen Gerichten.
Was Wunder, dass die juristische Bewältigung des Holocaust in der deutschen Bevölkerung kaum nachhaltige Spuren hinterließ. Das macht es jenen umso leichter, die das unsagbare Verbrechen nach wie vor leugnen und die »Helden« verehren, die - wechselweise an der Front und in Schreckenslagern - »heldenhaft für Deutschland kämpften«.
Dass die Leugner Erfolg und Zulauf haben, mag auch daran liegen, dass ein Stück von Peter Weiss kaum den Weg in unsere Schulen findet. Es heißt »Die Ermittlung«, es ist eine szenische Dokumentation des Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Einst wurde es tausendfach gespielt, unter anderem in West- und Ost-Berlin, in Erfurt, Essen, Gera, München, Halle, Leipzig, Köln, Rostock, Potsd...
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