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Nazis fliegen bei den »Böhsen Onkelz« raus

  • Lesedauer: 4 Min.

Zu >»Böhse Onkelz< kommen nach Essen« von Ulrich Sander (ND vom 25. August):

Der Artikel über den Gig der »Böhsen Onkelz« in Essen ist schlichtweg eine Frechheit. Die tendenziöse Unsauberkeit fängt bereits damit an, daß dieser Artikel in die Rubrik »Rechtsrock« eingeordnet wurde, obwohl die betreffende Band seit nunmehr zehn (!) Jahren keinen Song rechten Inhaltes mehr vor Publikum gespielt hat und bereits seit zwölf (!!) Jahren keinen mehr auf Vinyl/ CD hat pressen lassen - das sind für jedermann zugängliche Fakten. An dieser Stelle möchte ich Herrn Sander bitten, der Leserschaft des ND die Quelle für die Behauptung, die Onkelz spielten heutzutage »für ihre rechten Fans« die »hetzerischen« Lieder ohne Gesang, damit die »rechten Fans« diese »selbst grölen« könnten, offenzulegen. Seine diesbezüglichen Auslassungen sind nämlich eine Lüge (oh, Entschuldigung, in Journali-

stenkreisen nennt man so etwas ja eine »Ente«), die wahrscheinlich bewußt von Sander bzw seiner Quelle in die Welt gesetzt wurde. Herrn Sander ist offensichtlich entgangen, daß Personen, die sich als rechtsradikal zu erkennen geben, gar nicht erst in die Konzertsäle hineingelassen werden und spätestens während der Show hochkant rausfliegen. Ebenso entgangen zu sein scheint ihm die Tatsache, daß die Onkelz schon vor Jahren auf antifaschistischen Festivals wie zum Beispiel »Rock gegen Rechts« ohne Gage spielten und sich nicht nur während ihrer Konzerte, sondern auch in Songtexten und Interviews gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit eindeutig äu-ßerten (Bassist Stephan Weidner in einem Radiointerview: »Also, um eines für allemal klarzustellen: Jeder, der meint, die Onkelz seien 'ne faschistische Band, und meint, mit seinem schrägen Gedankengut irgendwie auf unsere Konzerte kommen zu müssen, ja, der soll sich verpissen! Wir ham' auf dieses ganze Nazipack kein' Bock! Leckt uns am Arsch!«). Wie läßt sich dieses klare Bekenntnis denn nun

bitteschön mit Sanders Behauptungen vereinbaren?!

Entgegen seiner Behauptung sind die Songs »Türken raus« und »Deutschland den Deutschen« nie offiziell auf LP/CD erschienen; auf dem ersten Album der Onkelz, »Der nette Mann«, welches 1984 erschienen ist, waren zwar zwei rechte Lieder enthalten, die allerdings lediglich von Nationalstolz handelten. Das war's. Der Rest des Albums setzt sich aus Getränke-, Fußball- und unpolitischen Skinhead-Liedern zusammen. Verboten wurde das Album aufgrund einer Fehlinterpretation des Titelsongs von Seiten der BPjS, der aus der Sicht eines Kindermörders geschrieben ist und keinesfalls dazu aufruft, »kleine Kinder zu zerstückeln« (BPjS).

Schon immer, auch während ihrer Skinhead-Zeit, haben sich die Onkelz von Nazis distanziert und Annäherungsversuche rechter Parteien stets zurückgewiesen. Zwar gibt es immer noch einige Ewiggestrige unter ihren Fans, bei den Hardcore-Faschos jedoch sind die Onkelz schon lange als »linke Schweine« und »Juden« verpönt. Vertriebe wie »Europa vorn« versuchen zwar (auch aus kommerziellen Gründen), die Platten weiterhin auszuschlachten, was aber zum größten Teil daran liegt, daß von Journalisten vom Schlage Herrn Sanders der »Sin-

neswandel« der vier Frankfurter nach wie vor ignoriert wird. Die Rechten merken, daß den Onkelz-Fans von der linken Seite her Ablehnung entgegenstößt und sehen dadurch die Chance, sie in die rechte Szene zu ziehen.

Eines der Lieblingsargumente der Onkelz-Gegner ist die nicht erfolgte Namensänderung der Band, die bereits, seit sie 1979 als Punk-Band anfing, denselben Namen trägt. Nun, Herr Sander, ändern Sie Ihren Namen, wenn Sie Fehler machen? Hat Ihre Zeitung den Namen geändert, nachdem sie mehrere Jahrzehnte lang Sprachrohr der sozialistischen Arbeiter- und Bauernmacht in der DDR war, während der durchaus eine Vielzahl schwerwiegender Fehler begangen wurden? Hätten die »Böhsen Onkelz« ihren Namen abgelegt, wären sie ebenso von den Medien verrissen worden - dann hätte es geheißen, sie würden einfach den Namen ändern und »gut is«.

Gunnar Stelling 21255 Tostedt

P.S.: Ich habe so lange mit dem Abschicken dieses Briefes gewartet, weil ich erst an diesem Wochenende einen Live-Auftritt der Band beobachten wollte, um mich noch einmal selbst von der Richtigkeit meiner derzeitigen Einschätzung der Problematik zu überzeugen.

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