- Politik
- Im Theater unterm Dach »Dantons Tod« nach Büchner
Lachen unterm Dach
Ritter, Tod und Teufel (Ralf Bockholdt, Thomas Jahn, Frank Panhans) erzählen und spielen Büchners »Danton« mit bösem und mit zartem Witz, der auch die Grimassen der Politik heute vorführt
Foto: Annette Höfer
Nach zehn Minuten ahnte man, daß sich hier etwas Großes ankündigt, nach 80 Minuten war es perfekt. Bravo-Rufe und viel Beifall einer enthusiastischen Theatergemeinde am Rande des Ernst-Thälmann-Parks, wo »Dantons Tod« nach Georg Büchner als Koproduktion zwischen dem »Theater des Lachens«, Frankfurt (Oder), und dem »Theater unterm Dach«, Prenzlauer Berg, seine Berliner Premiere hatte. Zu sehen war eine Digest-Version des Stücks von fröhlicher, perfekter Komik und mit allem, was an historisch Relevantem im Stück steckt: den Konflikten im Fortgang einer Revolution, die ihre eigenen Kinder frißt. Regie führte Astrid Griesbach, mehrfach schon preisgekrönt auf internationalen Festivals.
Die Grundidee: Der Ritter, der Tod und der Teufel erzählen Büchners Stück. Sie sind sehr frech, lustig und zotig und scheinen dem mittelalterlichen Mysterienspiel oder dem Kaspertheater entsprungen. Sie streiten sich, welche Szene aus Büchners Stück gespielt und welche gestrichen werden müßte. Sie spielen Danton, Robespierre und Camille mit bösem und mit zartem Witz. Wenn sie niemanden abzumurksen oder zu parodieren haben, hängen sie sich mit bedau-
ernder Miene an einem - imaginären -Wandhaken auf und warten, bis sie wieder »dran« sind. Marionettentheater und auch dies parodistisch, mit präzisem Körperspiel und dem gestischen Repertoire des Clowns (Choreographie Dominique Efstratiou). Ihr Aktionsfeld ist die leere, rundum illuminierte Bühne, ein schwarzbetuchtes Brett ist Tür oder Couch, auf der Danton faulenzt und von Camille hochgetrieben wird, weil der weiß: Robespierre will Dantons Kopf. Das Brett wird zur Spielleiste einer Kasperbühne, auf der das Volk mit Kinderstimmchen bespöttelt wird, weil es mal für, mal gegen Robespierre ist und immer den vollen Bauch will. Drastische Perversion auch des bürgerlichen Staates beim Striptease zu Büchners Text, daß sich »der Staat dicht an den Körper des Volks anzuschmiegen« habe - eine gebündelte »Verlängerung« des Sinns von Büchners Stück in unsere Tage. Die Grimassen der Politik heute, hier sind sie erschreckend präsent.
Überhaupt wähnt man sich in einem Zeitstück. Denn die Debatte, ob die Revolution das Verbrechen rechtfertige oder wann sie beendet sei und man »aussteigen« könne, um lustvoll ihre Früchte zu genießen, ist so weit her nicht. Hier liegt die Substanz der Inszenierung, und sie ist - bei aller Turbulenz - zu einem berührenden Vorgang verdichtet: Wie drei Freunde und politische Gefährten, Robe-
spierre, Danton und Camille, an einer historischen Bewegung, die sie in Gang gebracht haben, scheitern und ihre Freundschaft an Realität und ideologischer Indoktrination zerbricht. Hier »menschelt« es für Momente zwischen Ritter, Tod und Teufel, und auch die Liebesszenen mit Lucile und Julie sind von inniger Zartheit und feinster Ironie. Ralf Bockholdt, Tho-
mas Jahn und Frank Panhans, Absolventen der Theaterhochschule Hans Otto in Leipzig, sind die grellgeschminkten Komödianten, sie steigern das derbe Spektakel unversehens zum Teatro mundi.
Theater, ganz welthaltig und experimentell zugleich - das ist selten geworden. Die Stadtväter von Frankfurt (Oder) wissen offenbar um den Kulturwert der
kleinen Truppe und haben ihr voriges Jahr die Dampfmaschinenhalle einer ehemaligen Möbelfabrik zur Spielstätte herausgeputzt. Der neuerliche Beweis für die Vitalität der Truppe ist dieser »Dantons Tod«.
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