Heiliger Krieg der Bilder
Das Ende der Spaßgesellschaft - Überlegungen zu Pop, Terror und Krieg
Auf den Ausnahmezustand wird auch im Showgeschäft reagiert; zur Kriegführung gehört der Eingriff in den Kulturbetrieb, Radiostationen wird die Ausstrahlung bestimmter Musiktitel untersagt, und gerade hat Aimee Mann auf Grund der Gefahr neuer Terroranschläge ihre Tournee auf unbestimmte Zeit verschoben. Ebenso versucht die Popkultur ihren Beitrag für oder gegen den Krieg und Terror zu leisten: Paul McCartney spendet den Erlös seiner neuen Single »From a Lover to a Friend« an die New Yorker Feuerwehr, und Ex-Spice-Girl Geri Halliwell konzertierte kürzlich vor britischen Soldaten in Oman. Die Popkultur und ihre fröhliche Gewalt, mit der sie alles als buntes Spektakel inszeniert, ist längst in die Politik vorgedrungen; und da der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, liegt der Verdacht nahe, dass er auch die Popkultur mit anderen Mitteln fortsetzt. Oder aber die Inszenierung des Krieges als große Popveranstaltung selbst die gemeinte Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Auch die Umkehrung liegt nahe, dass der Pop die Fortsetzung des Krieges ist - immerhin reden wir vom Kriegsschauplatz, und schon die antike Kriegskunst hatte ihr dramatisch-theatralisches Element.
Die Sängerin Cher hat es vor einigen Jahren bereits vorgemacht und posierte im Video als Animiermädchen vor Marinesoldaten, ritt auf dem Kanonenrohr und versprach die sexuelle Sublimierung, die der Krieg für Männer je schon ist. Seit den Rockerbanden der 50er Jahre und vor allem den »Mods« in den 60ern hat die Armeekleidung die Popmode entschieden geprägt und vor allem durch Uniformen den Sexualfetisch mit dem Warenfetisch profitgerecht vereinigt: Wenn Geri Halliwell jetzt Chers Bühnenspektakel ins reale Kriegsgebiet exportiert, dann noch konsequenter auf die Männerfantasien zugeschnitten - unter den Uniformen, die während der Show ausgezogen wurden, hatten die Tänzerinnen nur noch Bikinis an, im Muster des Union Jacks. Die verfügbare Frau als Symbol der Freiheit, die in der Popgesellschaft längst gelernt hat, sich eben so darzustellen. Pop, Sex und Krieg - dass die Frauen in Afghanistan gefoltert, gesteinigt und entrechtet werden, interessiert bemerkenswerterweise erst seit den Bombardements die Weltöffentlichkeit, und auch nur peripher.
So konsequent Halliwells Sexshow ist, so antiquiert ist sie zugleich, und hilflos: Schließlich hieß der erste kulturelle Befund nach den Attentaten vom 11. September, sie bedeuteten das »Ende der Spaßgesellschaft«. Und in zynischer Aufdringlichkeit will Halliwell nun beweisen, dass die Party doch weitergeht. Genau genommen inszeniert sie aber ein Spektakel, das bereits im Zweiten Weltkrieg die Rolle der Frau als Animateurin kennzeichnete, lediglich angereichert mit pornografischem Kitsch. Hier ist eine Ohnmacht oder ein Versagen der Bilder zu vermuten; die Macht des Spektakels, die noch beim Jugoslawienkrieg und vor allem beim Golfkrieg so überzeugend war, hat ihre Kraft eingebüßt. Und während der Vietnamkrieg konstitutiv für die Bilderwelt der Popkultur war und sich in einer sowohl rebellischen wie konsumorientierten Idee der Jugend verfestigte, um schließlich den Konsum selbst zur Rebellion zu erklären, schaltet sich bei diesem Krieg die Jugend und ihre Popkultur buchstäblich ab: Es war der Fernsehsender Viva, der am 11. September »aus Respekt vor den aktuellen Geschehnissen« sein Programm aussetzte; »Jetzt«, das Jugendmagazin der »Süddeutschen«, erschien mit schwarzem Cover, die »größte deutsche Jugendzeitschrift«, die »Bravo«, erstmalig ohne Stars auf dem Umschlag, sondern mit U.S.-Flagge, und titelte »Wir trauern mit Amerika«.
Zentrale Agenturen der Popkultur haben also auf ihre Bilder verzichtet - Bilder, die bisher ihren Reiz oft darin hatten, dass sie die Realität an Gewalt und Schrecken überboten, man denke an die Hollywoodfilme wie »Independence Day«. Mit den Videoaufnahmen der Terrorangriffe auf das WTC hat die Popkultur ihre Definitionsmacht über die Imaginationen des Realen verloren, die Wirklichkeit ist zurückgekehrt: Bilderlos, weil es keine Bilder gibt oder die vorhandenen nicht gezeigt werden. Die wenigen Bilder, die es gibt, informieren nicht mehr und lassen keine Illusionen mehr zu - damit bricht die Logik der Popkultur, die auf der Gleichschaltung von Information, Imagination und Illusion basiert. Immer wieder dieselbe Informationsschleife in einer sinnlosen Dauerberichterstattung. Das Einzige, was die Bilder erzählen - und was ja in Augenzeugenberichten auch immer wieder gesagt wurde - ist, dass das, was hier gerade passiert, kein Spaß sei und nicht zu den bisherigen Bildern der Realität passe, in denen doch bisher in sehr spaßiger Weise Humanität und Terror zusammen inszeniert wurden - erst vor kurzem etablierte sich eine Modemarke mit dem Slogan »Terror worldwide«, eine andere mit »Troublemaker«.
Man sollte nicht vergessen, dass die bisherige Popinszenierung der Gewalt, die jetzt vom realen Terror überboten wird, stets in ihrer Erhabenheit genossen wurde - zu dem, was in New York passierte, hatte die moderne Popkultur bisher ein sowohl distanziertes wie ästhetisches Verhältnis: bisher wurde dieser Schock als Nervenkitzel und gelungener Spezialeffekt konsumiert. Der Kalte Krieg war zugleich ein heißer Krieg um den Anspruch auf die lustvollere Kultur; der Kapitalismus buhlte mit dem Sozialismus um die Cool- und Sexyness des Pop, RocknRoll einerseits, Lipsi andrerseits, der Westen hatte den Beat, aber in Kuba war der Buena Vista Social Club.
Im neuen Krieg geht es nicht um die besseren Partys, sondern um den Kampf mit einer zur Unkultur erklärten Religion, die jede Party verbietet. Es geht um die Annexion der letzten, von der globalen Kulturindustrie noch nicht besetzten Gebiete. Interessanterweise spricht in diesen Tagen des Ressentiments gegen die moslemische Welt niemand von den islamistischen Teilen der HipHop-Szene in den USA, die in den letzten Jahren vor allem durch ihren Antisemitismus von sich reden machten. Sie, die modisch gekleideten Musiker, irritieren das Feindbild des schmuddeligen Taleban - gerade auch, weil eben selbst vom Feind noch kein wirkliches Bild besteht; sie irritieren auch den Versuch, die innere Sicherheit wieder herzustellen über beruhigende Bilder. Beunruhigend waren ja auch schon die Berichte über Attentäter, die sich noch einen Abend zuvor in Bordellen vergnügten, an der Freiheit der Popgesellschaft unverschämt partizipierten. Es ist auch das Ende der Spaßgesellschaft, weil der Spaß seine Glaub- und Vertrauenswürdigkeit verloren hat: Die Attentäter sind religiöse Fanatiker; gelebt haben sie aber als moderne Jugendliche - konform, normal, unauffällig.
Diese Lebensweise höchster Selbstkontrolle und Aggressionsbereitschaft nach außen entspricht eigentlich, wenn auch hier in einer höchst perversen Variante, dem Charakter des Subjekts in der kapitalistischen Gesellschaft. Sie ist schließlich die terroristische Abart des (post-)modernen Subjektideals schlechthin, nämlich leistungsbereite und in gewisser Weise durchaus autonome Individuen. Und das markiert einen weiteren Bruch in der Rede vom Ende der Spaßgesellschaft: im Zuge der Globalisierung haben sich die Massen der alten Popkultur verflüchtigt; nicht mehr die uniforme Einheit, sondern individuelle Vielfalt - das war bislang auch der Popfaktor New Yorks: im Gegensatz zur bisherigen Massenkultur, die sich architektonisch etwa im World Trade Center machtvoll repräsentierte, ist die Kultur der vielen Einzelnen eine unaufdringliche; die terroristischen Sleeper sind so gefährlich, nicht weil sie sich mit Normalität tarnen, sondern weil zur neuen Normalität gehört, dass wir alle Sleeper sind - wenn auch keine Attentäter, so doch abrufbar für Kriegseinsätze beispielsweise, Notfalloperationen, Ausnahmezustände oder einfach nur die nächste Leistungsstufe der New Economy.
Der Ernstfall heißt »enduring Freedom«, andauernde Freiheit. Die Freiheit der Spaßgesellschaft ist eine symbolische Freiheit. Die Terroristen attackierten das Symbolische. Wenn jetzt von »Vergeltung« die Rede ist, dann geht es weniger um Rache für die Opfer, sondern um die Wiedergewinnung jener symbolischen Macht über die Bilder. Deshalb wird der Gegenschlag keinem abendfüllenden Spielfilm gleichen, sondern wie eine Vorabendserie in das laufende Programm integriert.
Bin Laden mag besiegt werden, nicht aber das angebliche Böse, denn es muss genauso ewig sein, wie die infinitive Gerechtigkeit - sonst funktioniert das Feindbild nicht: weil dies ein heiliger Krieg ist, ist es ein fortwährender. Der einzige Sieg, den dieser Krieg davontragen könnte, wäre - von Rohstoffen und ökonomischem Profit abgesehen - die Rückeroberung der symbolischen Herrschaft: und das meint, den Krieg auf Dauer in die Normalität des Alltags zu installieren. Das wird das Fundament der restaurierten Spaßgesellschaft; zynisch feiert sie auf den Trümmern der alten.
Roger Behrens, Jg. 1967, ist Mitherausgeber des Magazins »Testcard. Beiträge zur Popgeschichte«, dessen vorletzte Ausgabe zum Thema »Pop und Krieg« erschien (Mainz 2000).
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