Danke an Afrika

Porträtkonzert von Hermann Keller

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Wenn der Improvisator am Klavier in seinem Element ist, dann knistert es im Saal. Wiederzuerleben am Samstagabend im Otto-Saal des Konzerthauses, wo Hermann Keller mit mehreren Musikern und einer Sängerin seinen 60. Geburtstag musikalisch zelebrierte, ein Abend voll Überraschung und Ernst, Präzision und Spaß. Wenn der Mann im Rausch des Tastenspiels ist, dann wirbelt die Musik x-mal um ihre eigene Achse, schlägt Haken, ächzt, stöhnt, friert, lacht, schäumt, schießt über. Und ihr Kreator, ein Urtum an Künstler - der brauchte wahrlich statt eines steifen Klavierhockers einen Drehsessel mit Spiralfeder, der ihn mitsamt dem Flügel durch den Raum schaukelt, um die Triebe zu bändigen, die kugelförmig aus Körper, Fingern und Hirn herausdrängen. Er ist wahrlich ein Vollblutmusiker. Die Keller-Kollektion begann uneigennützig mit einer Referenz an Hanns Eisler: der 2. Klaviersonate op.6, die Keller exzellent darbot, ein sprühendes, die durchschnittliche Intelligenz, die in der 12-Tonmethode liegt, um Längen übertreffendes Frühwerk. Keller studierte von 1963 bis 1968 an der Deutschen Hochschule für Musik Berlin, die dereinst den Namen »Hanns Eisler« erhielt. Freilich, wenn von Keller die Rede ist, fällt einem seine musizierende Familie ein. Tochter Ronja bot mit ihrem Vater drei Stücke für Cello und Klavier, altersgemäße, die Reaktionsfähigkeit der Spieler testende Etüden, für die es viel Beifall gab. Die Geigerin Antje Messeschmidt, Kellers sympathische Lebenspartnerin, musizierte mit ihrem Mann die Schumann-Sonate für Violine und Klavier a-moll op. 105, sie mochte nicht so recht reinpassen, und Kellers Schumann-Metamorphosen. Darin nimmt sich der ungebärdige Improvisator zurück und kehrt die Genauigkeit und vollendete Ausgehörtheit einer zeitlich gedehnten Klanglichkeit hervor. Auch in »Jenseits von Amerika«, Anspielung auf den fast gleichnamigen Film, für Klarinette, Violine und Klavier ist Keller ein Meister der Präzision und sinnlichen Erfülltheit eines jeden Ereignisses. Die Komposition prüft afrikanische Rhythmen auf ihre Tauglichkeit und Integrationsfähigkeit. Ein Versuch, dem langjährige Studien und Überlegungen vorausgingen. Mit präpariertem Piano und einer dem Umfeld grotesk Paroli bietenden B-Klarinette mit dem glänzenden Jürgen Kupke, bestechend der Witz seiner Blasorgien mit Schlauch in Wassertopf, führt die dreiteilige Komposition in Urformen der Musik. Am Schluß der Choral: »Danke Afrika für den Rhythmus«. Ernstes boten die beiden Schlussstücke. Endet »Seele im Wasser« (II) für Sopran (Ulrike Sowodniok) und Posaune (Mathias Jann) mit offenem Mund der Sängerin und ohne auszuatmen, ein Schreckenssymbol, so beginnt die Improvisation für vier Musiker »Östliche Landschaft« mit dem Satz: »Das gestörte Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft lähmt die schöpferischen Kräfte« aus einem Aufruf des Neuen Forums 1989. Hier ist Hermann Keller wieder der, der er ist, das improvisierende Ungetüm, die klavieristisch brillierende Menschenmarionette aus Fleisch und Blut. Wildwütig kommt aus seinem Munde der Satz Volker Brauns: »Der Wegwerfmensch! Nur Coca Cola bin ich! Was hat die Welt aus uns gemacht?« Seufzt es in trostlosen Abwärtsschritten, elegisch imitiert durch die restliche Kollektivität. Frust, musikalisch buchstabiert. Eine Melanchol...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.